zum Hauptinhalt

Medien: Verflucht viele Ehefrauen

Tom Hanks hat eine Serie mitproduziert, die unter Polygamisten spielt. In den USA tritt sie eine Debatte los

Von vorne sieht alles ganz harmlos aus. Drei Fertighäuser reihen sich in einer Straße von Salt Lake City, Utah, aneinander. In dem einen leben ein Mann mit seiner Frau und drei Kindern, in denen daneben zwei alleinerziehende Mütter. Scheinbar. Doch nach hinten heraus teilen sie einen Garten, einen Pool und ein Geheimnis: Barbara, Nicki und Margene sind alle verheiratet – mit demselben Mann. Bill Henrickson verwendet einen Gutteil seines Lebens und seines Vermögens darauf, die bürgerliche Fassade seiner polygamen Existenz zu bewahren und seine Frauen zufrieden zu stellen. „Big Love“ („Große Liebe“) nennt der US-Kabelkanal HBO seine neue Serie, die am Sonntagabend zur besten Sendezeit läuft.

Der Serienstart im März löste eine landesweite Debatte über Polygamie und Religion aus. Selbst in der liberalen „New York Times“ machte sich deren (konservativer) Kolumnist John Tierney Gedanken darüber, wer eigentlich noch Angst habe vor dieser in den USA gesetzlich verboteten Lebensform habe. Vielweiberei sei nichts, wovor man sich fürchten müsse, schrieb er, „die größten Verlierer in einer polygamen Gesellschaft sind die finanzschwachen Männer, die ohne Frauen dastehen. Frau profitieren von Polygamie, weil das die Zahl ihrer Heiratskandidaten vergrößert – und in traditionellen Gesellschaften ist Heirat oft der einzige Weg für Frauen, ihren Status zu verbessern.“

So ähnlich scheint das auch HBO zu sehen. In den ersten Folgen wirkt Baumarkt-Besitzer Henrickson nicht wie ein beneidenswerter Hahn im Korb, sondern als ein von seinen sozialen und sexuellen Verpflichtungen gestresster Vielweiberer. Ohne Viagra überfordert. Mit Bill Paxton („Titanic“) ist die Rolle ebenso hochkarätig besetzt, wie die von Barbara (Jeanne Tripplehorn, „Basic Instinct“), Nicki (Chloe Sevigny, „Dogville“) und Margene (Ginnifer Goodwin, „Walk the Line“). Trotz des kontroversen Themas und der guten Schauspieler bleibt die Serie jedoch seltsam blutleer und ziellos.

Da streiten sich die Frauen um die Gunst ihre Ehemannes, da pflegt Nicki ihre Einkaufssucht und Margene läuft Gefahr, der netten Nachbarin alles zu verraten. Bill entdeckt unterdessen seine Liebe für seine erste Frau Barbara neu und trifft sich mit ihr heimlich. Religiöses taucht nur am Rand auf, etwa wenn Bill der wieder einmal empörten Nicki zur Beruhigung eine sofortige Segnung anbietet.

Damit verpassen die Producer, unter ihnen Tom Hanks, jedoch das Thema oder verharmlosen zumindest das Phänomen. „Im richtigen Leben gibt es keine Frau, die einen Mann teilen würde, ohne dass Religion einen entscheidenden Faktor spielt“, sagt Vicky Prunty, einst selbst in eine polygame Beziehung verwickelt und nun eine der führenden Anti-Polygamie-Aktivistinnen in Utah. „Das fehlt in der Show“, sagt sie, „es sieht mehr aus wie die ultimative Männerfantasie.“ Die Mormonen, genauer: die Anhänger der von Joseph Smith gegründeten Church of Jesus Christ of Latter-day Saints (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, LDS), wiederum sorgen sich, dass sie in eine falsche Ecke gestellt werden.

Sie sagten sich auf Druck der Behörden bereits 1890 von der Vielweiberei los, wer heute der Polygamie nachgeht, wird von ihnen exkommuniziert. Gleichzeitig gibt es jedoch zahlreiche Splittersekten vor allem in Utah und Arizona, die Polygamie weiterhin nicht nur dulden, sondern forcieren. Ihr Leben in geschlossenen Kommunen, in denen Frauen weitgehend ohne Rechte sind, und Kindesmissbrauch ein großes Problem darstellt, beschreibt zum Beispiel Jon Krakauer in seinem 2003 erschienen Buch „Under the Banner of Heaven“ (Unter dem Banner des Himmels). Nach offiziellen Schätzungen leben rund 40 000 Menschen in solchen Mormonen-Sekten. „Unsere Kirche ist seit langem besorgt über die fortgesetzte Praxis der Polygamie“, ließen die LDS- Mormonen mit Hauptsitz In Salt Lake City wissen, eine der am schnellsten wachsenden Kirchen in den USA, „insbesondere wegen der Berichte über den Missbrauch von Frauen und Kindern in diesen Gemeinden. Dadurch, dass die Polygamie nun zum TV-Gegenstand geworden ist, wird die Ernsthaftigkeit des Problems unterhöhlt.“ Welcher Sekte Henrickson und seine drei Frauen in ihrem Fernseh-Leben angehören, bleibt derweil offen. Ungeachtet dessen kommt die Serie so gut an, dass HBO eine zweite Staffel ins Auge gefasst hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false