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Nervös wirkte Moderator Günther Jauch am Sonntag bei der Premiere seiner ARD-Talkshow, in der auch die „9/11“-Überlebende Marcy Borders zu Gast war. Foto: ARD/Steffen Kugler

© dpa

Medien: Versuch’s mit Gemächlichkeit

„Günther Jauch“ ist gestartet. Die Erde in Deutschland hat nicht gebebt

Auge besiegt Ohr. Der Ort von „Günther Jauch“ überwältigt schier. Was mal ein Gasometer in Berlin-Schöneberg war, ist jetzt eine Mischung aus Moulin Rouge, Industriedenkmal und Reichstagskuppel. Rottöne dominieren, Fotos und Bilder werden in rostige Rahmen gesetzt. Der Gastgeber ist nervös, gebremst wirkt er, Jauch hält sich an einem Stoß von Notizen fest. Dabei ist jedes Detail auf Nummer sicher gearbeitet. Am Tag von „Günther Jauch“s Premiere am Sonntagabend, am zehnten Jahrestag von „9/11“ geht nur „9/11“ als Thema. Das Thema hat die Qualität, dass sich der Talk-Novize warmlaufen kann. Eine Debatte über, sagen wir, Euro-Bonds ist komplex, fasert aus in komplizierte Details, schnell kann sich das große Publikum ausgeschlossen fühlen. Da kann jeder Moderator blöde aussehen. Das wollen weder ARD noch Jauch. Bloß nix falsch machen, das ist das Gebot der ersten Talk-Stunde.

„War es richtig, in den Krieg zu ziehen?“ Jauch will die Positionen in den Antworten unterschiedlicher Gäste spiegeln. Autorin und Kriegsgegnerin Elke Heidenreich sitzt neben Springer-Chef Mathias Döpfner. Autor und Kriegsgegner Jürgen Todenhöfer und Peter Struck, im September 2001 SPD-Fraktionsvorsitzender und später Bundesverteidigungsminister, bilden das andere Paar. Marcy Borders, Überlebende der Anschläge auf das World Trade Center, und Tanja Menz, Mutter eines in Afghanistan gefallenen Bundeswehr-Soldaten, besetzen den „Schicksalsfaktor“. Mit Borders eröffnet Jauch seine Sendung, mit ihr wie später mit Menz unterhält er sich auf der „Betroffenen-Insel“. Mit der einsilbigen New Yorkerin soll die Re-Emotionalisierung der Tragödie gelingen. Dieses Gespräch wie die übrigen Einspielfilme sind pures „Stern TV“, Privatfernsehen, dicker Schwulst auf einem noch dickeren Musikteppich. Nichts gegen Mitgefühl, doch hier wird’s peinsame Ranschmeiße.

Bunt und breit gestreut ist die Gäste-Mischung, gesittet das Gespräch. Niemals wird es heftig im Für (Döpfner/Struck) und Wider (Heidenreich/Todenhöfer), gewagte Thesen werden nicht gewagt. Die Einladungspolitik sorgt für die Wiedererweckung nahezu aller Argumente zum Thema. Deutlich wird, dass die Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan längst eingepreist ist in der Deutschen Gefühls- und Gedankenhaushalt. Jauch hält die Runde am Reden. Erkennbar sein Problem, die zuweilen mäandernde Diskussion aufs Generalthema zurückzuführen. Ein Sammler, kein Jäger ist da am Werk. Ihn treibt die Neugier nach Positionen, nicht das Problem „Krieg oder nicht Krieg“. Individuelles geht vor Abstraktem. Günther Jauch will was erfahren, er lässt seine Gäste erzählen und ausreden. Eine Konfrontation zu wecken, gar zu schüren, das ist seine Sache nicht. Ein Volks-Talker mit dem Ziel der Wir-Inszenierung präsentiert sich.

Die große Runde soll das Thema an jeder Ecke abdecken, nur das Zentrum, das politische, bleibt unbehaust. Keine Prominenz aus Regierung und Opposition ist geladen, der frühere Verteidigungsminister Struck muss ganz allein für die Entscheidung zur „uneingeschränkten Solidarität“ seines Kanzlers Gerhard Schröder einstehen. Er tut das, mit ruhiger Stimme, der Friedensapostel Todenhöfer bringt ihn nicht in Rage. Jürgen Klinsmann, Trainer der US-Fußball-Nationalmannschaft, ist auch noch da. Er soll berichten, wie die Amis ticken. Klinsmann fängt jeden Satz an mit „Der Amerikaner …“, er kennt offenbar jeden von ihnen.

Nach der Premiere ist die Zukunft dieser laut Ankündigung „politischen Gesprächssendung“ schwer vorherzusagen, aber ist die Entpolitisierung, genauer: die Entpersonalisierung von Politik ein Projekt mit Zukunft? Sind die Volksvertreter so ein Affront für das Fernsehvolk, ein Ausschaltimpuls, der Ruin der groß gedachten Einschaltquote? Wenn Frank Plasberg, Jauchs ARD-Konkurrent, zugesehen hat, dann weiß er, was er am Montag zu tun hat: klare Kante in einer politischen Kampfarena. Das wäre die interessante Alternative. Onkel Günni probiert’s erst mal mit Gemächlichkeit.

„Günther Jauch“ ist gestartet. Die Erde in Deutschland hat nicht gebebt.

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