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Medien: Viel Feind’, viel Blair

Die BBC geht auf Konfrontationskurs – um ihren Ruf und ihre Existenz zu sichern

Von Matthias Thibaut,

London

In den Leserbriefspalten der „Times“ wird das Thema „Parteilichkeit und die BBC“ zur Zeit heftig debattiert. Die BBC, seit Jahrzehnten Inbegriff journalistischer „Unparteilichkeit“ oder gar nichts sagender Zaghaftigkeit, sei nach „links“ abgedriftet, so die These. Die meisten Beiträge kennen auch schon die Lösung für das Problem: Fernsehgebühren abschaffen und privatisieren. Das Thema ist hochaktuell: Die jeweils auf zehn Jahre beschlossene „Charta“, die den autonomen Rechtsstatus des partei- und regierungsunabhängigen Medienkolosses regelt, muss im Jahr 2006 erneuert werden.

Die Regierung Blair warf der BBC schon vor dem jüngsten Streit um die Waffendossiers vor, ihre Irakpolitik untergraben zu haben – so wie das übrigens Margaret Thatcher während des Falklandkrieges tat – was die Uni Cardiff in einer Medienanalyse widerlegte. Der „Krieg“ zwischen Downing Street und der BBC war ohne Beispiel. Der „Director General“ griff selbst in die Tasten, um seine Redakteure vor Attacken der Regierung zu verteidigen – das gab es noch nie. Am Sonntagabend trafen sich jetzt sogar die „Governors“, die Aufsichtsräte, um den Konfrontationskurs von „DG“ Greg Dyke zu prüfen – und zu stützen. Doch auch die Konservativen fühlen sich von der BBC ungeliebt. Sie werfen der „Blair Broadcasting Corporation“ schon lange pro-europäische Sympathien vor. Ihren Wahlsieg bei den Kommunalwahlen im Mai, beschwerte sie sich, habe die BBC „unter den Tisch fallen lassen“.

Nun hat die BBC auch die israelische Regierung verärgert. Nachdem BBC World, der internationale News-Channel der BBC, ein Programm über das israelische Atomwaffenprogramm wiederholte und darin die Frage stellte, warum so viel Aufmerksamkeit den irakischen und so wenig den israelischen Massenvernichtungswaffen geschenkt werde, setzte die israelische Regierung die BBC kurzer Hand auf die schwarze Liste. Keine Visa, keine Interviews. Aus dem Kabel ist die BBC sowieso schon verschwunden.

„Sie benehmen sich, als wären sie ein Organ der Labour-Linken“, schrieb Barbara Amiel, Kolumnistin und Gattin von Verleger Conrad Black, am Montag im „Daily Telegraph“. Doch die BBC erhielt auch Lob: „Man kann der BBC von den Redakteuren bis hin zum Aufsichtsrat gratulieren, dass sie standgehalten hat“, schrieb der „Guardian“ zum Streit um die Waffendossiers. Hinter der Debatte um die BBC steht eine seit Jahren andauernde, beeindruckende institutionelle und journalistische Expansion der BBC.

Nur so könne man den Angriff der amerikanischen Medienmacht abwehren, argumentiert „DG“ Greg Dyke, der als TV-Mogul im kommerziellen Fernsehen Millionen machte und sich in der Welt der Medienkonzerne auskennt. Seine Wahl durch die „Governors“ war übrigens umstritten, weil er der Labour-Partei eine Geldspende überwiesen hatte.

Dykes Vorgänger hatten die BBC mit Sparprogrammen auf Kosteneffizienz getrimmt. Auf dieser Grundlage konnte er nun, ausgestattet mit einem Jahresbudget von über 3,3 Milliarden Pfund, auf allen Kanälen funken. Zu den zwei terrestrischen Fernsehkanälen (mit einem Zuschaueranteil von 35 Prozent) sind inzwischen vier digitale Kanäle gekommen. Mit unzähligen regionalen und nationalen Radiostationen hält die BBC zudem 54 Prozent des Hörfunkmarktes und bedient mit Spezialprogrammen jede denkbare Zielgruppe: vom Liebhaber asiatischer Banghra- Musik bis zum Newsjunkie. Auch die internationale Präsenz der BBC ist gewachsen. Neben den mehr als 30 Radiosendern des „World Service“, der internationale News Channel BBC World, gehören dazu ein Internet-Imperium sowie die kommerziellen Aktivitäten von BBC Worldwide, die einen guten Teil dieser Expansion mitfinanzieren.

Ob nun die „Teletubbies“ in Mandarin, die in über 70 Länder exportierte Quizshow „The Weakest Link“, die Naturprogramme der BBC Bristol, das international ausgestrahlte „Proms“-Musikfestival, ein erfolgreicher kommerzieller TV-Sender in den USA oder Lernprogramme für afrikanische Bauern – es gibt nichts, was die BBC nicht anbietet.

Dyke und seine Strategen sehen in dieser Omnipräsenz eine Überlebensgarantie. Um die Rundfunkgebühren zu rechtfertigen, muss die BBC jedem etwas bieten, und das geht im digitalen Medienzeitalter nur durch Vielfalt. Die BBC braucht Quote, muss aber ihren Ruf als öffentlich-rechtlicher Qualitätsanbieter wahren. So wird nun, wo es auf die Charta-Verhandlungen zugeht, wieder mehr Geld für teure Kostümdramen und Kulturprogramme abgezweigt. Dabei ist der zunehmend gesunde kommerzielle Arm der BBC eine zusätzliche Rückversicherung – sollte es mit der Rundfunkgebühr mal schief gehen.

Dyke hat der BBC aber auch eine journalistische Expansion verordnet: Er fordert mutigeren, originelleren, meinungsstärkeren Journalismus, der Themen nicht nur reflektiert, sondern selber auf die Tagesordnung setzt – so wie bei den Irak-Dossiers. Man weiß in den Chefetagen der BBC: Journalistische Qualität stützt die Unabhängigkeit. Ein Moloch ohne Hirn hätte keine Zukunft.

Die größte Gefahr für die BBC, sagen die Kritiker, ist die Arroganz, die solche Omnipotenz mit sich bringt. Es sei ein feiner Unterschied zwischen einer mächtigen, unabhängigen Rundfunkanstalt und einer, die „sich selbst Gesetz ist“, meinte einer der Briefschreiber in der „Times“. Entschuldigen wird sich die BBC nicht, weder in Israel noch in der Downing Street. Sie wird vielmehr in aller Ruhe zur Tagesordnung übergehen, weiter viele gute Programme machen, aber auch manches schlechte. Sie wird versuchen, guten Journalismus zu produzieren. So, glauben ihre Sympathisanten, wird sie am längsten überleben.

Matthias Thibaut

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