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Medien: „Vielleicht finden wir noch mehr“

Christian Booß von der Birthler-Behörde über Hagen Boßdorfs Stasi-Kontakte

Herr Booß, es sind neue Stasi-Dokumente zu Hagen Boßdorf aufgetaucht. Wo kommen die nach so langer Zeit her?

Aus einem Sack in unserem Leipziger Archiv. In der ehemaligen Bezirksverwaltung lagern noch Bestände zur DDR-Spionage. Stasi-Offiziere haben damals alles in großer Unordnung hinterlassen. Wir arbeiten uns Regal für Regal vor.

Dass Hagen Boßdorf Stasi-Kontakte hatte, ist lange bekannt. Was ist neu an Ihrem Fund?

Die neue Aktenlage legt den Schluss nahe, dass Boßdorf unter dem Decknamen IM „Florian Werfer“ für den MfS-Spionagebereich aktiv war. Er hatte Kontakte zu DDR-Besuchern aus dem Westen. Ziel war es, diese stärker an die DDR zu binden. Eine der Frauen dachte zum Beispiel daran, später in einem Bonner Ministerium zu arbeiten. Die Stasi plante sehr langfristig.

Stimmt es, dass er über eine der Besucherinnen aus der Bundesrepublik geschrieben hat: Sie sei „23 Jahre“, habe „breite Hüften und ein etwas unschönes Gebiss“, sei aber „freundlich und naiv“?

Ja, und mit einer anderen führte er eine intensive Brieffreundschaft, es gab sehr persönlich gehaltene Briefe der jungen Frau. Die Briefe, so legen es die Akten nahe, hat IM „Florian Werfer“ mit seinem Stasi-Offizier analysiert. Zusammen haben sie Anwortstrategien entwickelt. So kann man es jedenfalls in so genannten Treffberichten nachlesen.

Hagen Boßdorf war früher beim ORB beschäftigt, dort waren alle Mitarbeiter bereits überprüft worden.

Ja, und seitdem war bekannt, dass er beim Wachregiment Feliks Dzierzynski war. Aber dass er da keineswegs nur Gebäude bewacht hat, sondern in Wahrheit im Soldatensender dieser Stasi-Eliteeinheit gearbeitet hat, das kam erst einige Jahre später heraus. Damals wurde dann auch bekannt, dass er bei der Hauptverwaltung Aufklärung, also dem Spionagebereich, erfasst war. Damals hieß es, es sei geplant gewesen, ihn in der Spionage einzusetzen, dass aber die Wende dazwischengekommen sei. Jetzt beschreiben die neuen Aktenfunde, dass er offenbar schon für die HVA tätig war.

Wird Ehrlichkeit bei Stasi-Überprüfungen honoriert? Umgekehrt: Wird es für Boßdorf zum Problem, wenn er tatsächlich log?

Ich habe früher selbst mal beim damaligen ORB gearbeitet. Die dortige Stasi-Überprüfungskommission und die Leitung des Hauses haben das Alter, das jemand bei seiner Stasi-Mitarbeit hatte, und den Umgang mit der eigenen Vergangenheit sehr differenziert bewertet. Da geht es auch um Vertrauen und Vertrauensvorschuss. Ich habe beim ORB übrigens selbst kurze Zeit mit Hagen Boßdorf zusammengearbeitet. Ich kann das gut nachvollziehen, wenn es jetzt einige pikierend und menschlich enttäuschend finden, was da aus den Akten ans Licht kommt.

Boßdorf soll im März als Sportchef des NDR anfangen. Ein NDR-Sprecher sagte, dass die neuen Papiere daran nichts änderten. Der NDR-Rundfunkrat Hartmut Kaesewurm widersprach: Boßdorf sei als Sportchef nicht tragbar, falls die Vorwürfe stimmten. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff verlangte laut Medienberichten vom NDR-Intendanten Jobst Plog Aufklärung. Verglichen mit anderen Fällen – als wie gravierend sind Boßdorfs Stasi-Kontakte zu bewerten?

Das ist nicht an unserer Behörde, das zu beurteilen. Der NDR überprüft den Fall, der Sender kennt im Wesentlichen den Inhalt der neuen Akten. Mir ist allerdings kein weiterer Fall in Erinnerung, bei dem ein Ressortleiter in der ARD eine Akte als Agenten-Anwerber hat.

Der MDR-Unterhaltungschef Udo Foht soll angeblich eine Stasi-Akte haben.

Ich möchte keine Einzelfälle kommentieren. Aber allgemein gesprochen: Bei einer Berufsgruppe wie Journalisten stellen die Medienkonsumenten doch sicher zu Recht erhöhte Anforderungen an Wahrheitsliebe und Glaubhaftigkeit.

Wo liegt für Journalisten die Grenze, dass eine Stasi-Mitarbeit Konsequenzen hat: Ist es die Verpflichtungserklärung oder dass jemand andere bespitzelt hat?

Die Bedeutung der schriftlichen Verpflichtungserklärung wird oft übertrieben. Sie war damals für eine Stasi-Mitarbeit auch nicht erforderlich. Die handschriftliche Erklärung erleichtert nur den juristischen Nachweis, der dann arbeitsrechtliche Folgen haben kann.

Kann es sein, dass noch mehr Belastendes für Boßdorf gefunden wird?

Es muss wohl eine Stasi-Akte zu Boßdorf gegeben haben. Die ist aber noch nicht aufgefunden worden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir noch mehr finden.

Der ARD-Moderator Ingo Dubinski wurde 2001 vom Schirm genommen, als herauskam, dass er beim Militär einen Kamaraden ausgehorcht hatte. Dann gab die ARD ihm doch wieder eine Chance. Welche Konsequenzen wären im Fall Boßdorf denkbar?

Das ist Sache des NDR. Hier geht es ja anders als bei anderen Fällen um eine Neueinstellung. Bei schon Beschäftigten haben andere ARD-Anstalten jenseits der Entlassung eine breite Palette von Möglichkeiten angewendet: Vom Bildschirm nehmen, Versetzung, Suspendierung, Pausieren, die Ermöglichung freier Tätigkeit über Drittfirmen.

Christian Booß ist Sprecher der Stasi-Unterlagenberhörde.

Das Interview führte Barbara Nolte.

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