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Medien: Vom Star zum Sünder

Bob Woodward hat Informationen verheimlicht

Er ist der Meister der anonymen Quelle. Vor gut 30 Jahren hat Bob Woodward mit seinem „Washington Post“-Kollegen Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufgedeckt. Seither ist er das wandelnde Denkmal des investigativen Journalismus. Jetzt aber fallen sie über ihn her: Woodward musste zugeben, dass er noch früher als andere Journalisten die Schlüsselinformation in der „Leakgate“-Affäre erfuhr: die Identität der CIA-Mitarbeiterin Valerie Plame. Die Enttarnung von Agenten ist strafbar, eine Kommission untersucht seit zwei Jahren, wie Plames Klarname in die Öffentlichkeit kam. Woodward hat sein Wissen lange geheim gehalten, gegenüber Staatsanwalt Patrick Fitzgerald wie gegenüber Chefredakteur Len Downie. Einen „Schlag für die Glaubwürdigkeit“ der „Washington Post“ nannte das die Ombudsfrau der Leser, Deborah Howell, auf der Meinungsseite. Bei allen Verdiensten habe Woodward „zwei schwere Sünden“ begangen: Er habe sich Downie, der einzigen Kontrollinstanz des Stars, nicht anvertraut. Und er habe zwar nicht über „Leakgate“ geschrieben, aber im Fernsehen mitdiskutiert, ohne seine Verwicklung offen zu legen.

Die Brisanz ist vielleicht nicht auf Anhieb klar. Ein Journalist erhält eine vertrauliche Information, behält sie für sich – und steht dennoch am Pranger? Die Sitten im US-Journalismus sind strenger, sie sollen Transparenz und Kontrolle garantieren. Der Gebrauch anonymer Quellen ist nur in begründeten Ausnahmen erlaubt; der Reporter muss mindestens seinem Redakteur sagen, woher die Information stammt. Brisante Details, die zur Kontrolle der Regierung beitragen, erfahren Journalisten oft nur, wenn sie Vertraulichkeit zusichern. Doch die Berufung auf „hohe Regierungsbeamte“ oder „Geheimdienstkreise“ kann missbraucht werden: von den Journalisten oder von Regierung und Behörden, die mit angeblichen Geheiminformationen die Öffentlichkeit beeinflussen wollen.

Judith Miller von der „New York Times“ ist ein Beispiel. Sie wurde zu einer Kronzeugin für Saddams angebliche Massenvernichtungswaffen, indem sie Einflüsterungen der Bush-Regierung und irakischer Exilkreise als Aufsehen erregende Recherche publizierte. In „Leakgate“ gab sie die Märtyrerin der Pressefreiheit, die lieber ins Gefängnis geht, als Quellen preiszugeben, denen sie Vertraulichkeit zugesagt hatte. Als sie doch aussagte, sah das Bild anders aus: Miller war keine kritische Kontrolleurin, sondern eher eine Vertraute des Weißen Hauses.

Das Misstrauen, das sie weckte, bekommt nun Woodward zu spüren: Steckt auch er mit der Regierung unter einer Decke, fragen „Post“-Leser die Ombudsfrau. Und: „Geht euch die Loyalität zu Bob (Woodward) über die Loyalität zu den Lesern?“ Die „Post“ nutzt die Gelegenheit, um die Kontrollmechanismen den Lesern zu erklären und ihren Journalisten einzuschärfen: völlige Trennung zwischen Kommentarseite und Nachrichtenredaktion, Überprüfung vertraulicher Quellen durch einen weiteren Redakteur. Ganz verzichten auf anonyme Quellen könne man nicht. Der „Post“-Bericht über geheime CIA-Gefängnisse kürzlich sei nur auf dieser Grundlage zustande gekommen – und allgemein gelobt worden.

Erstaunlich nach europäischen Maßstäben ist die Schärfe der Selbstkritik der „Post“ und das Ausmaß, in dem sie Einblick in ihre inneren Arbeitsweisen und den Umgang der Journalisten untereinander gewährt. So hielt es schon die „New York Times“ in der Affäre um Judith Miller – von der sich die Zeitung am Ende trennte. Auch die „New York Times“ nutzt den Wirbel um Woodward, um auf einer halben Seite am Sonntag ihre internen, jüngst wieder verschärften Regeln für anonyme Quellen zu erläutern.

Die „Post“ kritisiert ihren Star Bob Woodward, hält aber angesichts seiner Verdienste an ihm fest. Er selbst gibt sich schuldbewusst und reuevoll. Er habe gefürchtet, in der „Leakgate“-Untersuchung vorgeladen und wie Judith Miller mit Beugehaft bedroht zu werden, wenn er seine Quelle nicht preisgeben würde. Inzwischen hat er bei Staatsanwalt Fitzgerald ausgesagt, und nun rätselt ganz Amerika, welcher hohe Regierungsvertreter Woodward denn Plames Identität verriet – bisher vergeblich. Fitzgerald untersucht zwar ein „Leak“ (Informationsleck), sein ganzer Apparat aber hält dicht.

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