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Medien: Von den „Tagesthemen“ in den Tarnanzug

Jay Tuck, Chef vom Dienst beim ARD-Nachrichten-Magazin, ist am Montag als Korrespondent an den Golf geflogen

Vergangene Woche war sein vorerst letzter Tag bei den „Tagesthemen“. Jay Tuck, Chef vom Dienst, wechselt die Seiten und übernimmt vorübergehend eine ganz andere Aufgabe: Er berichtet für die ARD aus dem Irak. Der Mann ist im Grunde seines Herzens Reporter, und er will mal wieder raus. „Es geht direkt in ein Kriegsgebiet, auch um später die Arbeit der Korrespondenten in Krisengebieten besser zu verstehen“, sagt er, als wolle er den eigenen Auftritt entschuldigen. Irak statt Hamburg-Lokstedt.

Jay Tuck ist Amerikaner, genauer New Yorker. Ungewöhnlich genug für den Koordinator einer der wichtigsten Nachrichtensendungen in Deutschland. Sein Vater, Jay Nelson Tuck senior, war anerkannter Journalist bei der „New York Post“, und er war Reporter in Vietnam; sein Onkel war im KoreaKrieg; Tuck junior verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam und landete vor mehr als dreißig Jahren auf Umwegen in Deutschland. Der Liebe wegen – und er blieb.

Der studierte Volkswirt jobbte beim Fernsehen und fiel durch seine ungewöhnlichen Methoden auf. Er bekam beispielsweise als Erster ein Interview mit Andy Warhol, weil er kurzerhand eine Stretchlimousine und sechs Herrschaften mit rotem Käppi an den Hamburger Flughafen orderte. Eine ungewöhnlich aufwendige Aktion für den NDR, aber nicht für einen Amerikaner. Landsmann Warhol stieg brav ein und stand Rede und Antwort.

An Tucks Schreibtisch im Hamburger Großraumbüro laufen die Fäden für die Sendung zusammen: neun Monitore flimmern, ein Telefon mit Dutzenden verschiedener Knöpfe verbindet ihn mit Regie, Redaktion und Außenwelt. Computer und Laptop runden das Bild einer Nachrichtenredaktion ab. Ab und zu schwebt Ulrich Wickert durch den Raum und macht Vorschläge.

Jay Tucks letzter Tag an der Schaltstelle des ARD-Nachrichten-Magazins: Er ist müde. Der 57-Jährige hat kaum geschlafen, seit einer Woche weiß er von seinem möglichen Einsatz im Irak. Zwischen den Sendungen organisiert er Dinge wie Erste-Hilfe-Pakete und Lebensversicherung, Kamerateam und Technik und probiert die kugelsichere Kampfweste der ARD an. Sie kostet 8000 Euro, ist sandfarben mit dicker schwarzer Aufschrift „PRESS“. „Gut, dass ,Press’ draufsteht, das hilft bestimmt.“ Doch Tuck hält sie für zu dünn. „Gegen Hardkern-Vollmantel- Geschosse wird sie nicht halten. Ich kann genauso gut ein T-Shirt anziehen.“ Er entscheidet sich für eine schwere Weste mit Keramikplatten und Wüstentarnung. Nur weiß er nicht, wo er überhaupt landen wird. Fest steht lediglich, dass es irgendwo bei der US-Marine sein wird. Einen Einsatz auf einem Flugzeugträger fände er langweilig: „Da kriege ich keine guten Reportagen.“ Tuck geht nicht als so genannter Regel-Korrespondent, der im sicheren Hotel am Rande des Kriegsgebiets sitzt, sondern als Combat-, also Kampf-Korrespondent. Das heißt, er gehört zu den circa 400 Journalisten, die vom Pentagon ihre US-Einheit zugeteilt bekommen wie ein Soldat. Ihr Auftrag: mit den Soldaten den Krieg erleben und berichten. „Die Situation ist eine sensible Sache“, sagt Tuck. „Das Pentagon möchte, dass wir gefährliche Situationen mit den GIs erleben und uns mit ihnen solidarisieren. Da müssen wir aufpassen. Auf der anderen Seite können Reporter zum ersten Mal US-Kriegshandlungen aus erster Hand erleben und Augenzeugen-Berichte für die Zuschauer weitergeben.“

Wie kommt der Journalist überhaupt bis zur Front? Der Weg ist ebenso erstaunlich wie vermeintlich einfach. Weltweit 800 Journalisten lässt das Pentagon zu, unter anderem zwei Berichterstatter der ARD. Der Weg zum Ziel geht über das Telefon, man stellt wie bei jeder Behörde einen Antrag, und die Pressestelle des Pentagon erteilt die Genehmigung – oder auch nicht. Tuck ist kein Neuling. Er berichtete bereits aus dem ersten Golfkrieg für die ARD.

Vorbereitet hat sich der Marathonläufer, der als erster Amerikaner dreimal am Sibirien-Marathon teilgenommen hat und beim letzten Mal aufgeben musste, weil ihm ein Auge zugefroren war, mit Sport und einem Lehrgang in ABC-Schutz.

Angst hat der erklärte Nicht-Pazifist keine. „Die Albträume kommen erst später. Als in Kuwait unser Auto unter Beschuss kam, haben wir in dem Moment blöde Witze gerissen.“ Das klingt lässig, doch Anekdoten von der Front erzählt Tuck nur zögerlich. „Cowboy-Typen sind hier nicht gefragt“, sagt er. „Menschen sterben. Wir Berichterstatter haben eine sehr große Verantwortung.“ Und erzählt dann doch von einer Begebenheit, die ihm das Leben hätte kosten können: „Wir haben mit Kugelweste und Helm in einem Gefecht Schutz unter einem Lastwagen gesucht, etwas Blöderes hätten wir nicht machen können. Wir lagen direkt unter dem Benzintank.“ Oder als er den ersten Konvoi ins befreite Kuwait begleitete: „Wir wurden als Befreier gefeiert. Man konnte den Menschen nicht klar machen, dass wir nur Journalisten waren. Diese kleinen Kuwaitis trugen mich durch die Stadt.“ Der 1,90-Meter-Mann ist mittlerweile der einzige, den die ARD mit den US-Truppen losschickt. Beschlossen wurde sein Einsatz bei einer großen Konferenz zum Thema Irak. WDR-Kollege Arnim Stauth wird „das ganze vom Land covern“: aus Kuweit.

Jay Tuck fühlte sich schon ein wenig geehrt. Die Irak-Demission hätte er nur abgelehnt, wenn seine Frau dagegen gewesen wäre. Schließlich haben sie gerade erst geheiratet. Mrs. Tuck ist auch Journalistin. Tuck ist Vater von „insgesamt“ vier Kindern, ein kleiner Junge, eine kleine Tochter sowie zwei erwachsene Töchter, „die froh sind, dass ihr Dad kein Langweiler ist“.

Seine Motivation für diesen nicht ungefährlichen Einsatz, begründet er wie ein Politiker. Abenteuerlust? Das Wort fällt natürlich nicht. Die Aufgabe reizt ihn, sagt er. Das klingt unverdächtig. Er sei „extrem neugierig“ – das ist das Äußerste, was er zugibt. „Krieg ist furchtbar. Ich kenne ihn. Ich will Opfer und Täter beschreiben. Und ich will aus erster Hand berichten, wie die Armee einer modernen Supermacht heute kämpft. Und diesmal nicht als Korrespondent mit zensiertem Poolmaterial“, erzählt Tuck.

Die ARD-Schreibtisch-Kollegen reagieren so: Sie machen Witze, klopfen ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Männerrituale. Manche sind neidisch, einige wundern sich. Tauschen will niemand. Tuck verabschiedet sich an diesem Tag am Telefon häufig mit der Mitteilung: „Ich fahre in den Krieg.“ Und manchmal heißt es dann am anderen Ende: „Schönen Urlaub“. Unterstützt wird „der Urlaub“ des Chefs vom Dienst auch von Chefredakteur Patrick Leclercq, der seinerseits wiederum langjähriger Korrespondent in der Region war.

Welche Voraussetzungen sollte jemand für diesen Job mitbringen? „Man sollte ein klares Bild von sich selbst haben. Man muss sein Handwerk beherrschen, das heißt, zwischen extrem belastenden persönlichen Erlebnissen und der sachlichen Information trennen können.“ Zur Vorbereitung kursiert ein WDR-interner Erfahrungsbericht. Auf einer internen Website findet man ein „Krisentraining für Journalisten und Bundeswehr“. Es beginnt mit der elementaren Frage: Brauche ich diese Bilder wirklich? Zum Thema Ausrüstung heißt es: kugelsichere Weste und Helm, wobei man sich nicht einig ist, was besser ist, mit oder ohne Helm. Mit ist man geschützter, sieht aber weniger. Hinzu kommen Kopien von Pass und Visum, Briefpapier des Senders, Stempel und Ohrenschutz. Auf keinen Fall mitzunehmen sind: Ehering, Uhr oder Adressbuch. Ein Tag an der Front könnte so aussehen: Logbücher schreiben, mit Soldaten Halma spielen, Zitate für die Beiträge aufschnappen, warten. Tuck spielt die Situation runter. Er will keine Angst haben, er will es einfach machen.

Auf seinem Schreibtisch liegt ein riesiger Kalender. Eine „Tagesthemen“-Woche hat eine andere Zeitrechung. Bei Tuck sieht sie so aus: „Monday, Tuesday, Wednesday, Thursday und Danach.“ An der Front gibt es keine Wochentage. Nur ein Danach. Am Montag flog Tuck los.

Carla Woter

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