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Medien: Vorher Lieber „Gesund & Schön“ Nachher

Deutschlands Nachrichtensender stehen vor dem Aus – und suchen ihr Überleben in Boulevard-Dokumentationen

Was bleibt von n-tv? Der Sender hat gerade die letzten Pfunde abgeschafft, die er noch hatte: seine Talkshows „Talk in Berlin“ und „Grüner Salon“. Selbst „Maischberger“, populär und preisgekrönt, eigentlich ein Geschenk für einen kleinen Sender, steht angeblich zur Disposition.

Den Konkurrenten N24 wird das kaum freuen, durch Entlassungen ausgemergelt, fürchten sie sich dort vor ihrem neuen Besitzer Haim Saban. Fraglich ist, ob Saban den Nachrichtenkanal beibehält. Steht das deutsche Nachrichten-Fernsehen vor dem Aus?

Die Hochzeit war kurz, sie fiel zusammen mit dem New-Economy-Boom, als aus Menschen mit Renten- und Lebensversicherungen Aktionäre wurden. Sie mussten beim Brunch Wörter wie „überzeichnet“, „charttechnisch“ oder „Emission“ kennen. n-tv und N24 lieferten das Vokabular. Und sie lieferten die Illusion, dass man sich nur informieren müsse, um mit Aktien reich zu werden. Kein Wunder, dass viele Firmen in diesem Umfeld gerne Werbeblöcke kauften. Allein 1999 waren die Werbeerlöse von n-tv um 61 Prozent gegenüber 1998 gestiegen. Im Jahr 2000, als N24 startete, machte n-tv rund 25 Millionen Euro Gewinn – im vergangenen Jahr machte n-tv 23 Millionen Euro Verlust, N24 24 Millionen. Ebenso wie die Nachrichtensender vom Boom überdurchschnittlich profitiert hatten, litten sie unter der Werbeflaute.

Hinzu kommt, dass Aktien-Small-Talk keinen Spaß macht, wenn er an den Verlust des Ersparten erinnert. Und für Haushalts- und Rentendebatten, für Arbeitslosenzahlen und Steuerreformen gibt es ja die „Tagesschau“oder „heute“. Nicht ausreichend informiert fühlen sich offenbar nur wenige. Kriege, Busentführungen und Geiselnahmen gibt es in Deutschland eher selten – damit machen die Nachrichtensender Quote.

N24 und n-tv kommen seit einigen Monaten kaum über 0,5 Prozent Marktanteil hinaus – in der werberelevanten Zielgruppe der 14-49-jährigen.

N24 kann sich immerhin rühmen, mehr jüngere Zuschauer zu haben. Wofür wohl die Neuausrichtung verantwortlich ist. N24 sei ein „Nachrichten- und Informationskanal“, sagt Programmchef Peter Rampp. Das bedeutet, dass der Sender pro Woche über 66 Stunden Dokumentationen zeigt. Hinzu kommen Reportageformate wie „24 Stunden – Die N24 Nahaufnahme“ oder „Sandmann & Hädler“. Außerdem gibt es Magazine namens „N24 Wellness“ oder „N24 Wissen“.

Das ist an sich nichts Schlimmes, wer jedoch regelmäßig N24 sieht, fragt sich aber, ob Sendungen, die „Ultra-Cops“, „Adrenalin-Junkies“ oder „Die Außerirdischen kommen“ heißen, zu einem Nachrichtensender passen. Oder eine Doku namens „Immer schneller“, die darüber „informierte“, dass es in Amerika Menschen gibt, die mit rasendschnellen Motorbooten durch Flüsse jagen.

Rampp wehrt sich gegen den Vorwurf der Unseriosität. „Wir lassen uns nicht in die Ecke drängen, N24 sei der boulevardeske Nachrichtensender“, sagt er, und er weist darauf hin, dass in den n-tv-Nachrichten schon mal mit „Deutschland sucht den Superstar“aufgemacht wurde. Das läuft bekanntlich auf RTL, und RTL ist seit 2002, neben AOL Time Warner, Hauptgesellschafter von n-tv. Auf Pro 7 laufen die „Popstars“. Weshalb N24, der zur Pro Sieben Sat1-Gruppe gehört, in den Nachrichten darüber informierte, dass die Band „Overground“ bei „Popstars“ gewonnen hatte. Über die Dokus sagt Torsten Rossmann, Sprecher von Pro Sieben Sat 1, dass sie sich „durch die Quote legitimieren" und das N24 das Geschäftsergebnis dieses Jahr „signifikant verbessern“ werde.

Konkurrent n-tv wird dieses Jahr wohl 28 Millionen Euro Verlust machen. Deshalb müssen weiter Kosten reduziert werden. An der Demontage des Nachrichtensender-Images wird auch schon eine Weile gearbeitet. Mit Hilfe von Tele-Shopping und Magazinsendungen, die auf Namen hören wie „Gesund & Schön“, „Fresh“ („Trends und Events rund um den Extrem-, Fun- und Outdoorsport“) oder „Nah dran – n-tv-Reporter unterwegs“. Bei „Gesund & Schön“ beispielsweise wird dann eben über Wellness-Urlaub in einem namentlich genannten Hotel in Bayern informiert.

Zum Ausgleich für derartige Schleichwerbung gab es bisher aber Sendungen, die dafür sorgten, dass n-tv auch wahr genommen wurde: Talk-Formate wie „Maischberger“, „Der Grüne Salon“ oder „Talk in Berlin“. Der Vertrag mit Sandra Maischberger läuft im Juni 2004 aus, und die anderen beiden Sendungen werden abgeschafft, weil sie angeblich zu teuer sind. Sie werden durch neue Talk-Formate ersetzt (siehe Kasten). Einen Vorgeschmack, wohin das führen könnte, gibt es schon: Mit Claudia Pechstein in die Ferien, nämlich. Ein n-tv-Team soll sie ab März 2004 drei Mal in den Urlaub begleiten und Sendungen mit ihr gestalten. „Ich hoffe, ich kann das“, sagt die Eisschnellläuferin.

Auf die Frage, ob in Deutschland nicht genug Platz für zwei Nachrichtensender sei, antwortet RTL-Sprecher Thorsten Grothe: „Verstehen Sie N24 denn noch als reinen Nachrichtensender?“ Und ProSieben-Sat- 1-Sprecher Rossmann sagt, er sei davon überzeugt, dass es zumindest „Platz gibt für N24". 2005 sollen beide schwarze Zahlen schreiben. Das wird schwer, denn die meisten der 82 Millionen Deutschen brauchen offenbar nicht mal einen Nachrichtenkanal.

Heiko Dilk

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