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Wacken, Roskilde, Tempelhof: Krachen und Blitzen

Mit Live-Übertragungen wie dem Berlin Festival arbeitet ZDFkultur am Image des Musikfernsehens.

Regen, endloser Regen, dicke, schwarze Wolken, daraus heftige Blitze, Donner, Schlamm unter den Füßen, ausgefallener Mobilfunk, in der einen Hand das Mikrofon, in der anderen ein riesengroßer Regenschirm – ein gefährlicher Job, den da die ZDFkultur-Moderatoren Silke Super und Jo Schück in Roskilde, beim größten Musikfestival Nordeuropas, Anfang Juli geleistet haben. An diesem Wochenende am alten Flughafengelände in  Berlin-Tempelhof dürfte es in dieser Hinsicht etwas ruhiger zugehen. Die Live-Übertragung des Berlin-Festivals ist Abschluss des ZDFkultur open air 2011 – ein Sommer mit sieben langen Konzert-Wochenenden, der dazu geschaffen war, Musikfans und Kritikern so ein bisschen den Glauben ans gute, alte Musikfernsehen wiederzugeben.

Musikfestivals oder Konzerte im Fernsehen, wer soll das noch sehen? Viele sagen, das geht gar nicht mehr. Gibt doch Youtube. Das stimmt. Jedoch, fast 40 Jahre nach Erfindung des WDR-„Rockpalast“, 30 Jahre nach Start des Musiksenders MTV mit Etablierung der Musikvideo-Kultur und von Formaten wie „Unplugged“, ein Jahrzehnt wiederum nach dem schleichendem Tod des Musikfernsehens und neun Monate nach Überführung des deutschen MTV-Ablegers ins Pay-TV tut sich da wieder etwas: in der öffentlich-rechtlichen, digitalen Nische, dank ZDFkultur, dem Nachfolger des Theaterkanals.

Für den im Mai gestarteten Digitalsender sind die Festivals neben diversen, regelmäßigen Sendungen wie „Berlin live“ oder „Der Marker“ zum Markenzeichen geworden, nebst Anerkennung in sozialen Netzwerken, begeisternden Eintragungen an der Facebook-Pinnwand („Wer braucht schon MTV?“). Und das bei einer Klientel, die mit gebührenfinanziertem Fernsehen nicht allzu viel am Hut hat. Beim Heavy-Metal-Festival in Wacken Anfang August wurde bei den 14- bis 49-Jährigen in der Prime-Time ein Marktanteil von einem Prozent registriert. Mit 0,4 Prozent in allen Altersgruppen erreichte ZDFkultur da seinen bislang höchsten Wert, sagt ZDFkultur-Chef Wolfgang Bergmann, der im Oktober Geschäftsführer von Arte Deutschland wird. Bei den zeitversetzten Abrufen in der ZDF-Mediathek lag die Wacken-Festival-Übertragung mit 164 646 Abrufen in den ersten beiden Augustwochen an vorderster Stelle vor Sendungen des Hauptprogramms, vor „Markus Lanz“ & Co. Kein schlechtes Argument für den Ausbau von ZDFkultur, für ZDF-Programmdirektor und Intendant in spe Thomas Bellut, der das Image des ZDF verjüngen will. Mal abgesehen davon, dass der frische Wind von ZDFkultur oder ZDFneo dem Mainzer Hauptprogramm auch nicht schaden würde. Dass es ein Beitrag, der nicht von einem Millionenpublikum vorm Fernseher verfolgt wurde, in der ZDF-Mediathek auf Platz eins schafft, sei ein Hinweis darauf, so Bergmann, dass man mit ZDFkultur und seinem Musikprogramm eine Klientel erreicht, die verstärkt im Internet unterwegs ist und nicht so sehr dem Bild des „konventionellen“ Fernsehzuschauers entspricht.

Aber ist das Musikfernsehen von ZDFkultur wirklich so gut? „MTV hat viele Jahre Rock am Ring live übertragen. Das waren ohne Ausnahme sehr erfolgreiche Wochenenden für den Sender“, sagt Elmar Giglinger, einst Programmdirektor bei Viva und MTV, heute Chef vom Medienboard Berlin-Brandenburg für den Geschäftsbereich Standortmarketing. „Die Live-Übertragungen der Headliner waren gerne mal die nach Quoten erfolgreichsten Stunden des Jahres.“ Es gebe also einen Bedarf an Live-Übertragungen, und es freue Giglinger, dass ZDFkultur in die Lücke springt. Als „neues“ Musikfernsehen werde ZDFkultur allerdings aufgrund der sehr breiten Positionierung nicht funktionieren können. „Hier Pop, dort Rock, vorher Vivaldi und danach Dieter Thomas Heck. Sehgewohnheiten können so nicht aufgebaut werden.“

Dennoch, dem Image des Lerchenbergs und seiner digitalen Sender-Familie tut ZDFkultur zweifellos gut. Und dem journalistischen Nachwuchs. Moderatoren wie Lukas Koch, Jo Schück, Rainer Maria Jilg oder Silke Super, die auch für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) arbeitet, lassen Größen des Musikfernsehens wie Ray Cokes oder Alan Bangs („Nightflight“, „Rockpalast“) beinahe vergessen. Gute Arbeit. „Oft sehen wir nur drei oder vier Auftritte, weil wir backstage Interviews, Reportagen auf dem Zeltplatz oder Moderationen machen“, sagt Jilg. Salopp, ohne Anbiederung, stellen sie als eine Art moderner Videojockey (VJ) die Bands vor, ordnen Phänomene ein oder halten eben auch mal durch, draußen live am Mikrofon, wenn es kracht und blitzt wie in Roskilde.

ZDFkultur arbeitet schon am Open- Air-Konzept mit weiteren Festivals für 2012. Eine gute Nachricht.

„Berlin Festival“, Live-Musik-Übertragung mit Bands wie Primal Scream, Suede, 20 bis 0 Uhr, ZDFkultur. In den beiden Wochen nach dem Festival bringt ZDFkultur um 19 Uhr je fünf einstündige Highlightsendungen.

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