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Spiel im Spiel: „The Beginner’s Guide“ ist eine Meta-Erzählung über die Programmierung eines Videogames.

© Promo

Walking Simulator: Blaupause für Virtual Reality

VR-Brillen sind inzwischen auf jeder Technikmesse zu sehen, doch noch fehlen die Inhalte. In den Games der neuen Generation werden die Spieler zu staunenden Beobachtern.

Super Mario kennt sein Ziel – das Ende des Levels erreichen, bis zum Turm mit der Fahne am rechten Ende des Bildschirms. Auf diese simple Art wurden lange Zeit viele Videospiele gezockt. Spätestens seit dem Überlebensspiel „Day Z“ aus dem Jahr 2012 mehren sich Formate, in denen das reine Entdecken und Erkunden den Reiz eines Spiels ausmachen. „Walking Simulator“ werden diese Titel in der Games-Community genannt. Denn es geht in ihnen nicht um den Highscore und wer der oder die Beste ist. Mit dem Konzept der Offenen Welten, in denen der Spieler selbst entscheidet, in welche Richtung er sich bewegt, sind „Walking Simulator“ zugleich die Blaupause für die von Spielestudios, Publishern und den Gamern sehnsüchtig erwarteten Virtual-Reality-Spiele mit den allenthalben gezeigten Brillen von Oculus, Sony, Microsoft oder Samsung.

In den Jump-’n’-Run-Spielen à la „Super Mario“ musste man vor allem eins: auf überwiegend vorgegebenen Wegen laufen. Den Spielern wurden zunächst die Grundlagen beigebracht. Wie bewegt man sich, welche speziellen Mechanismen hat das Spiel, was sind die Ziele? Diese Elemente waren fest umrissen, den Spielern wurden Werkzeuge an die Hand gegeben, die sie bis zum Ende jedes Levels und schließlich zum Abschluss des Spiels führen sollten. Darauf basierend entwickelten sich die meisten Genres: In Hüpfspielen wird die Geschicklichkeit getestet. In Rollenspielen müssen Monster besiegt und dunkle Verliese erkundet werden. In Shootern werden reihenweise Gegner abgeschossen.

Die Spiele der neuen Generation sind kreativer. Auch hier wird zwar viel gelaufen. Aber es ist an den Spielenden, die Geschichte selbst zu finden, oder besser gesagt: zu er-finden. Damit entfernt sich das Medium vom „nur“ Spielen und eignet sich neue Arten des Erzählens an. Die Geschichte wird dabei – anders als bei den Blockbustern mit den großen Budgets – nicht in Zwischensequenzen erzählt. Es werden keine Unmengen an Geld ausgegeben für Motion-Capture-Prozesse, einen Hollywood-reifen Soundtrack oder von Schauspielern eingesprochene Dialoge.

Ein Vertreter dieser Gattung ist „Everybody’s gone to the Rapture“ vom August 2015. Zunächst ist nicht einmal ganz klar, in welchem Genre das Spiel überhaupt angesiedelt ist. Zu Beginn ist eine Tonspur zu hören, die postuliert, dass alle Personen verschwunden sind. Der Spieler steht dann alleine in dem fiktionalen Dorf Shropshire. Er muss nun ergründen, wo die Bewohner abgeblieben sind. So läuft man durch eine wunderschöne offene Spielwelt und hat vor allem eine Aufgabe: zu beobachten.

Die Umgebung erzählt die Geschichte

Diese Art des Erzählens nennt sich „Environmental Storytelling“. Die Umgebung selbst erzählt die Geschichte. Und sie erzählt sie nur, wenn man aufmerksam ist und die vielen Details zu einem Ganzen zusammensetzen kann. Radios wollen angestellt werden, merkwürdige fliegende Lichtbälle geben krude Hinweise, jeder Vorgarten kann wichtige Informationen enthalten. Dem Spieler wird dabei keine Mission vorgesetzt. Wie man das Spiel „beendet“, muss er selbst herausfinden.

„The Beginner’s Guide“ vom Oktober 2015 schickt die Spieler auf eine Reise durch die Programmierung eines Spieles. Es wird vorgetäuscht, die Geschichte eines außerordentlich begabten Programmierers zu verfolgen. Eine Stimme schickt die Spieler durch unfertige Level, die die Genialität des Programmierers darstellen sollen. Dabei besteht die einzige Aufgabe darin, staunend zu erleben, wie sich die Geschichte mehr und mehr in eine Meta-Erzählung über Videospiele, Selbstzweifel und Authentizität in der Kunst verwandelt. Diese Erfahrung ist das Ziel des Spiels, keine Endsequenz und kein Highscore warten als Belohnung.

Das gerade erst erschienene „That Dragon, Cancer“ funktioniert wieder ganz anders. Es bietet eine Spielerfahrung, die abseits jeder klassischen Vorstellung von Videospielen angesiedelt ist. In kurzen Szenen, die an Gedächtnisfetzen erinnern, erlebt der Spieler Momente aus dem Leben eines krebskranken Kindes. Dabei gibt es keine herausfordernden Spielmechanismen. Das Erfahren des Leidens des Kindes wie auch der Eltern, die ihr krankes Kind pflegen und umsorgen, steht im Vordergrund. Jeder Spieler soll das ohne große Videospiel-Kenntnis erleben können. Das Erfahren, das Mitfühlen ist das Ziel des Spiels.

Videospiele sind hier an einem Punkt angekommen, der weiter entfernt vom anfänglichen Highscore-Jagen und Endgegner-Besiegen nicht sein könnte. Und es ist ein Zeichen für ein sich diversifizierendes Medium, wenn es sowohl Platz bietet für Super Mario, der weiterhin durch seine Level springt, und einem kleinen Kind, das gegen seine schwere Erkrankung kämpfen muss. Man darf gespannt sein, welche Spiele die Entwickler von VR-Games aus diesen Blaupausen erschaffen.

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