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Medien: Walsers Miteinander

Franziska Walser in der Verfilmung von Martin Walsers Roman „Ohne einander“

Eine kräftige Männerstimme dröhnt durch den Flur: „Nun bring mich doch mal zu meinem Arbeitsplatz“, fordert der gerade eingetroffene Regisseur Diethard Klante (67) von seiner Assistentin, „ich hab heute noch was anderes vor.“ So ist das, wenn man an ein neues Motiv kommt, alles aufgebaut ist und es eigentlich längst hätte losgehen sollen. Man befindet sich in einem schmucklosen Bürogebäude nahe der Münchner Theresienwiese, das sonst Redaktion, Vertrieb und Anzeigenabteilung von diversen Computer-Blättern des Burda-Verlags beherbergt. Aber für dieses Wochenende hat ein Filmteam das Kommando übernommen. Gedreht wird „Ohne einander“, eine Tragikomödie nach einem Roman von Martin Walser. Der erschien 1993, und weil ein reicher Verleger, ein neues Magazin, ein bräsiger Chefredakteur und ein gefürchteter Literaturkritiker darin vorkamen, glaubten ein paar Menschen an einen Schlüsselroman: Burda, Markwort, Reich-Ranicki. Das ist einmal ziemlicher Unfug und außerdem Klante ganz egal. Er wollte dieses Buch schon seit vier Jahren verfilmen, energisch unterstützt von der Schauspielerin, die nun die Hauptrolle spielt: Franziska Walser (54), die älteste der vier Walser-Töchter. „Ich hätte den Film nicht ohne sie gemacht“, sagt Klante entschieden, „dieser Film gehörte uns, immer schon.“

In Baden-Baden traf das Duo 2002 während Dreharbeiten auf Martin Walser. Der machte diverse Vorschläge, aber für Klante musste es dieses damals recht rasch vergessene Buch sein, das er für „viel radikaler“ hält als andere Walser-Werke. „Dass so viele vorher an der Verfilmung von Walser-Stoffen gescheitert sind, konnte ich von Drehtag zu Drehtag besser verstehen. Weil er uns laufend in Extremsituationen führt, die im Roman beschreibbar und erklärbar sind, hier aber gezeigt, von Menschen gespielt werden müssen. Das ist dann schon heftiger.“ Kein Miteinander, nirgends in „Ohne einander“, verstrickt in das erotisch-neurotische Gefüge ist die ganze Familie: Ellen, die Redakteurin mit Schreibhemmungen, Sylvio (Klaus Pohl), der Gatte und Mittelklasse-Autor, Sylvi (Vijessna Ferkic), deren hübsche Tochter, und Ernest (Jürgen Prochnow), Fabrikant und Ellens nicht gar so heimlicher Geliebter. Klante hat sich vorgenommen, „diese Figuren nicht als jämmerliche Clowns vorzuführen“, sondern ernst zu nehmen, „nur so können wir das ganze Ausmaß der Groteske zeigen“.

Das Gros des Films ist in den letzten Wochen in einer Villa am Starnberger See entstanden, wo das Quartett in wechselnden Konstellationen aufeinander trifft. An einem Wochenende werden Szenen in der Redaktion gedreht: Ellen muss kurzfristig 108 Zeilen über ein neues Buch schreiben. Die Verhältnisse auf dem schmalen Flur sind beengt, vor allem die Spiegelungen der Glaswände, Türen und Fenster nerven die Kamera-Crew. Franziska Walser schafft es, Ellens ansteigenden Ärger samt aufkommender Panik stets aufs Neue aus sich herauswachsen zu lassen. 108 Zeilen nur, aber eine Sonderaufgabe mit Folgen – denn so kommt sie später als geplant nach Hause, kann die Katastrophenserie dort nicht aufhalten.

Der Film folgt, anders als das schwungvolle und bitterkomische Buch, ganz der Ellen-Figur. Ist es etwas Besonderes für die erfahrene Franziska Walser, ein Buch des Vaters zu verfilmen? Es sei ja nicht „ihr“ Film, gibt sie zu bedenken, aber es stimme schon, dass ihr „dieser Roman immer schon besonders gut gefallen“ hat, vor allem die Vitalität der Ellen: „Eine Frau, die trotz aller Hindernisse doch ihr eigenes Leben will, die sich nicht alles gefallen lässt, die nicht endlos und still vor sich hin leidet.“ Alle Figuren in Walsers Roman scheitern mit und an ihren Sehnsüchten, gründlich und absurd zugleich. Doch Franziska Walser mag „das hohe Risiko, das die Figuren leben“, auch auf die Gefahr hin, dass es schiefgeht, „sie riskieren sich“. Und schließlich sehe das Scheitern der anderen immer komisch aus, doch für die, die es erleben, sei es tragisch.

Walser hat das Drehbuch sehr gut gefallen, berichtet der erleichterte Klante, „bisher ist er ganz mit uns auf dieser Reise“. Als skurrilen, doch überzeugenden Beleg nimmt er, dass Walser jüngst eine Szene als besonders wichtig für die Charakterisierung des Koltzsch herausstrich – die indes kommt im Buch gar nicht vor, ist eine Erfindung Klantes. Zu sehen sein wird „Ohne einander“ im März 2007 im ZDF, wenn Walsers 80. Geburtstag ansteht. Alle Beteiligten beteuern, das sei Zufall.

Helge Hopp

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