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Der „Cóndor“ fliegt. Die Ausgabe zu 25 Jahren deutsche Einheit gehörte zu den Höhepunkten im Erscheinungsjahr 2015.

© Huber

Was die Deutsch-Chilenen über Deutschland denken: „Die Deutschen wollen sich zu 150 Prozent vom ,Dritten Reich' distanzieren"

Was „El Cóndor“, Chiles letzte deutschsprachige Zeitung, fürs eigene Überleben leisten muss. Gespräch mit Herausgeber Ralph Delaval.

Herr Delaval, „El Cóndor“, das ist schon ein ungewöhnlicher Name für eine Zeitung, oder?
In Chile ist das überhaupt nicht ungewöhnlich. Im chilenischen Wappen gibt es den Südandenhrisch und den Andencondor. So wollte man den „Cóndor“ in seinem Gründungsjahr 1938 quasi auf chilenische Grundlage stellen. Mit dem Condor wollte man ganz klar signalisieren, dass es sich hier um eine deutsch-chilenische Zeitung handelt. Der „Condor“ ist mal täglich erschienen, mal in einem größeren, mal in einem kleineren Format. Heute ist er ein Wochenblatt im Tabloid-Format. Immer mit 16 Seiten Umfang, davon zwölf auf Deutsch und vier auf Spanisch. Wir haben 6000 Abos, dazu kommt noch ein kleiner Anteil im Freiverkauf, die Gesamtauflage liegt bei rund 7000 Stück.

Träger der Zeitung ist der Deutsch-Chilenische Bund. War das immer so?
Wir haben ein Abkommen mit den größten Institutionen, mit der Deutschen Schule, die Deutsche Klinik, dem Deutschen Sportklub, und dem Deutsch-Chilenischen Bund, das ist das Bindeglied zwischen den deutsch-chilenischen Institutionen. Der Bund ist auch der Träger des „Cóndors“ seit 1989. Aber Sie dürfen das nicht so verstehen, dass wir das Sprachrohr des Bundes sind. Es gibt keine Absprachen, allenfalls Rücksprachen.

Ralph Delaval ist Herausgeber des "Condórs" in Santiago.
Ralph Delaval ist Herausgeber des "Condórs" in Santiago.

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Der „Condor“ hat als einzige deutschsprachige Zeitung in Chile überlebt. Wie ist das gelungen?
Es gab eine Reihe von deutschsprachigen Zeitungen in Chile, die jedoch bedeutend kleiner waren als der „Condor“, der durch den Verlagssitz in der Hauptstadt Santiago im Vorteil war. Dann hat die deutschsprachige Gemeinschaft den „Condor“ immer unterstützt – siehe das Trägermodell, durch das wirtschaftliche Schwierigkeiten immer wieder gedämpft werden konnten.

Gilt die Analogie zum „Argentinischen Tageblatt“, das in Buenos Aires erscheint: Die Einwanderungswellen haben die Auflage gemacht?
Der „Condor“ ist 1938 gegründet worden. Um diese Zeit sind natürlich viele Juden und andere Verfolgte des Naziregimes gekommen. Aber anders als das „Argentinische Tageblatt“ waren wir weniger auf einzelne Leser aus, wir haben uns mehr an den Institutionen orientiert.

Was erwarten Träger und Leser?
Wir sind eine deutsch-chilenische Wochenzeitung, das heißt, wir sind für all jene da, seien es Deutsch-Chilenen, Deutsch-Österreicher, Deutsch-Schweizer oder seien es Bundesbürger, die am „Cóndor“ Interesse haben. Einmal also an den Informationen selbst, zum anderen ist die Zeitung ein Lernmaterial sowohl für die Schüler als auch für jene, die ihr Deutsch verbessern und vervollkommnen wollen, vielleicht um auch in Deutschland studieren zu können. In den Klassen der Oberstufen wird der „Condor“ eben als Unterrichtsmaterial genutzt, auch um ein aktuelleres Deutsch zu lernen. Chile hat von allen Ländern weltweit die meisten deutschen Schulen, nämlich 27.

Lebensnotwendig ist es aber für keinen Chilenen, in Chile Deutsch sprechen zu können?
Nein, lebensnotwendig ist eher die Kombination Spanisch/Englisch. Aber gerade im Süden von Chile ist Deutsch unverändert lebendig, auch wenn es abgenommen hat. Deutsch ist meiner Meinung aber wichtiger als Französisch oder Italienisch. Bitte bedenken Sie: Chile hat rund 18 Millionen Einwohner, davon sind 300 000 deutschstämmig. Das ist nicht unerheblich.

Was muss im „Cóndor“ stehen, damit die Leser zufrieden sind?
Wir vermitteln Informationen und Nachrichten über Deutschland, die in anderen chilenischen Medien überhaupt nicht vorkommen. Dafür haben wir die Deutsche Nachrichten-Agentur als Basisdienst. Die Schulen wie auch die anderen Institutionen haben natürlich eine offene Tür bei uns. Wir haben ein Abkommen mit der dpa, für die drei deutschsprachigen Länder, aber auch weltweit. Die Flucht- und Asylproblematik interessiert uns sehr, weil es auch die chilenische Bevölkerung interessiert. Die Regierung hat schon angekündigt, dass sie Syrer und andere Flüchtlinge aufnehmen will. Hat sie auch schon in den vergangenen Jahren getan, im Rahmen der Möglichkeiten natürlich. Wir bringen eben, und das ist unsere Chance, Nachrichten, die die Leser und Online-Nutzer in Chile anderswo nicht bekommen können.

Hat sich die generelle Linie in den vergangenen Jahren verschoben?
Sie hat sich verlagert. Auf der einen Seite haben wir mehr Wirtschaft im Blatt, auf der anderen Seite versuchen wir Themen aufzugreifen, die vor zehn Jahren vielleicht gar nicht wichtig waren – Luftverschmutzung, Wasserverseuchung, alternative Energiegewinnung.

Gibt es denn neben dem „Cóndor“ noch weitere deutschsprachige Medien, sprich Hörfunk und Fernsehen?
Es gibt in einigen Orten im Süden in manchen Radioprogrammen eine deutsche Stunde, meistens am Wochenende. Das sind aber lokale Programme. Meist mit deutscher Musik, mit Märschen, selbstverständlich auch mit moderner Musik. Was eben stark genutzt wird, das ist die Deutsche Welle.

Die Flüchtlinge sehen Deutschland als Schlaraffenland

Sind die Deutsch-Chilenen eigentlich von Deutschland verblüfft? Mehr als eine Million Flüchtlinge werden bis Ende des Jahres angekommen sein.
Deutschland ist unter den Merkel-Regierungen so attraktiv geworden, dass es von den Flüchtlingen als Schlaraffenland angesehen wird. Da wollen sie hin. Ich verstehe schon, dass Deutschland jetzt so offen ist, weil man das mögliche Vorurteil ganz weit von sich wegschieben will, man wolle fremde Menschen, Andersgläubige nicht im Land haben. Die Deutschen möchten sich von all dem, was im „Dritten Reich“ geschehen ist, 150-prozentig distanzieren.

Die Deutschen wollen jetzt endgültig die Guten in der Welt sein?
Natürlich, es ist auch richtig so, wenn man es in der besten Weise sein kann.

In Chile gelingt die Integration.

Chile ist noch immer ein Einwanderungsland. Gelingt die Integration?
Ja. Als es Peru wirtschaftlich nicht so gut ging, kamen zahlreiche Peruaner, vor allem Frauen, nach Chile. Ohne sie würde die Versorgung beispielsweise von Santiago mit Tagesmüttern und Kindermächen zusammenbrechen. Argentinier sind auch als Gastarbeiter in beträchtlicher Zahl gekommen. Auch umgekehrt gilt: Chilenen, die nach Argentinien gegangen sind, haben sich eingemeindet, wurden integriert.

Kann ich heute Nachmittag Margot Honecker anrufen und treffen? Die frühere DDR-Volksbildungsministerin und Witwe des Staats- und Regierungschefs lebt ja in Santiago.
Margot Honecker hat sich hier völlig isoliert, zuammen mit ihrer Tochter. Sie ist hier absolut kein Thema, auch nicht im „Condor“ Ich glaube, sie will hier in Ruhe und in Frieden leben. Margot Honecker muss sich in Chile auch ihrer eigenen DDR-Vegangenheit nicht stellen.

Das Interview führte Joachim Huber.

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