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Medien: Was guckst du, du Opfer?!

Die ARD verlegt das harte Integrationsdrama „Wut“ in den späten Abend

Programmänderungen sind lästig. Wenn es doch mal sein muss, braucht es gute Gründe. Liefert „Wut“, das im Vorfeld hochgelobte TV-Drama um einen gewaltbereiten türkischen Jugendlichen und eine (allzu) tolerante deutsche Familie, diese Gründe? Offiziell heißt es, dass der Jugendschutz die Verbannung des Werkes plus anschließender Debatte mit Politikern und Experten von Mittwoch, 20 Uhr 15, auf Freitag, 22 Uhr, also in die Nachtstunden, verlange. Gegen den Film waren Vorwürfe wegen Gewaltszenen und möglicher Ausländerfeindlichkeit laut geworden. Das hat die ARD nach internen Diskussionen am Freitagabend bekannt gegeben.

Arme Jugend, wie meist ist sie bloß Vorwand. Für sie ist dieser Film doch gemacht. Na, vielleicht darf sie Freitag länger aufbleiben. „Wut“ zeigt weniger Blut und Wunden als so mancher „Tatort“, der in der Primetime laufen darf. Der wahre Grund für die Verschiebung dürfte sein, dass „Wut“ die Political Correctness sehr weitgehend suspendiert und die Anstalten das kontroverse Werk lieber verstecken. „Wut“ baut einen jungen Migranten, den Türken Can (Oktay Özdemir), so konsequent zu einem infamen Privatterroristen auf, dass kein Fünkchen Sympathie für den Mega-Fiesling übrig bleibt. Der gewöhnliche „Tatort“-Schurke zeigt ja oft noch einen Rest Menschlichkeit – die fehlt bei Can total. Zugleich erscheinen seine Gegner, der Schüler Felix, den er beraubt und dessen Eltern, die ihren Sohn schützen wollen, als allzu weich und hilflos. Hart gegen den Räuber und Drogendealer Can vorzugehen, verstieße gegen ihre Prinzipien der Toleranz. Und weil er mit seiner defensiven Haltung scheitert, flüchtet Felix’ Vater (August Zirner), ein Literaturprofessor, ins andere Extrem: Er setzt einen Schläger auf Can an. Die Logik des Zahn um Zahn ist etabliert. Die Sprache der Gewalt ist angeschlagen, ab jetzt wird keine andere gesprochen.

Während man den Film anschaut, fragt man sich immer wieder: Sind Menschen so? Handeln sie so? Insbesondere Felix gibt Rätsel auf. Er fühlt sich zum Peiniger hingezogen, bewundert dessen kriminelle Energie, lässt es zu, dass Can seinen Vater beleidigt. Kehrt nicht auch bei angespanntem Vater-Sohn-Verhältnis in der Not die Loyalität zurück? Solche Fragen führen zu nichts. Sie setzen einen psychologischen Feinschliff voraus, den dieser Film nicht hat. Nicht braucht. Er will es, so steht zu vermuten, bei einer Grobzeichnung seiner Figuren belassen. Er will in die Extreme gehen. Er ist kein realistischer Thriller, sondern eine schwarzweiße Parabel. Sein Interesse sind nicht die Menschen, die alle miteinander nicht recht überzeugen, sondern die Strukturen, die sich herstellen, wenn die Gewalt den Ausschlag gibt. Ein Dialog ist nicht mehr möglich. Nur noch eine Eskalation, an deren Ende der Tod steht.

Macht deswegen eine Programmänderung Sinn? WDR-Intendant Fritz Pleitgen hat die Verlegung von „Wut“ kritisiert. „Ich bin nicht wütend, ich bin enttäuscht. Ich hätte uns ein bisschen mehr Courage zugetraut“, sagte Pleitgen am Samstag. Von Regisseur Züli Aladag und Autor Max Eipp gibt es Stellungnahmen: Sie wollten den in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nie angekommenen jungen Türken mal nicht als Opfer, sondern als Täter darstellen. Gelungen ist ihnen das nicht, denn Can bleibt Opfer, egal, wie viele andere er zwischendurch fertigmacht. Seine fürchterliche Angeberei, die Verbalinjurien, die er permanent aus sich herausschleudert (eine besonders beliebte ist bezeichnenderweise: „Du Opfer!“), kennzeichnen den Verlierer, der sein Ego nur erhöhen kann, indem er andere zerstört. Eine solche unselige Konstellation gibt es immer wieder, auch innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sie ist fernseh- und krimitauglich, und wenn Mut dazu gehört hat, sie jetzt auch mal zwischen Mehrheits- und Migrantenmilieu anzusiedeln, so sollte man es positiv bewerten, dass dieser Mut gefunden wurde. Wahrscheinlich fürchtet die ARD den Vorwurf, hier würden Vorurteile gegen gewaltbereite Jugendliche mit Migrationshintergrund geschürt. Aber Vorurteile gegen Multikulti-Liberale werden ja genauso bedient. Sie kürzen sich sozusagen gegenseitig weg. Was übrig bleibt, ist eine Warnung vor der Sprache der Gewalt, deren Attraktivität gerade unter Jugendlichen auch der Mehrheitsgesellschaft – siehe Felix – zunimmt.

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