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Medien: „Was immer ich erzähle – die Realität ist härter“

Autor Henning Mankell über seinen Kommissar Wallander, das Fehlen der Stille und das Daumendrücken für WM-Teilnehmer Angola

Herr Mankell, warum ist Ihr Kommissar Wallander so populär?

Vielleicht ist der unauffällige Kommissar aus Ystad ja so beliebt, weil er ein Charakter ist, der stets im Wandel begriffen ist. Er leidet eben nicht am so genannten James-Bond-Syndrom – solche Figuren machen von Seite eins bis Seite 1000 keinerlei Veränderung durch. Wallander hingegen schon. Da bleibt die Spannung erhalten. Im ersten Buch etwa, erfährt er, dass er Diabetes hat. Das passiert Menschen auch im wirklichen Leben. Es macht ihn glaubwürdig.

Was verbindet Sie mit Kurt Wallander aus der südschwedischen Provinz?

Das ist nicht viel. Im richtigen Leben würden wir sicher keine Freunde werden. Wallander hat einige sehr seltsame Eigenschaften. Dennoch besitzen wir drei Gemeinsamkeiten: Wir sind beide gleich alt. Wir haben einen Haufen Arbeit. Und wir lieben die italienische Oper.

Aber die brutalen Verbrechen, die ihn täglich beschäftigen, die denken allein Sie sich aus. Woher nehmen Sie all das?

®Alles, was ich erzähle, ist nah am Leben dran. Ich könnte mir so etwas Grausames gar nicht ausdenken. Und an manchen Stellen habe ich mich beim Schreiben ganz schlimm gefühlt. Was immer ich erzähle, die Realität ist weitaus härter. Und das ist wesentlich für mich zu wissen: Was ich da schreibe, das bin nicht ich!

Gibt es für Sie Themen, die Sie den Lesern lieber ersparen?

Einmal habe ich mich an den Stoff Kindesmissbrauch herangewagt. Das war vor zehn Jahren. Ich hatte das Manuskript fertig geschrieben – und restlos verbrannt. Ich konnte die Szenen darin emotional einfach nicht ertragen. Ich werde das so nie wieder machen.

Wie lange sitzen Sie an einem Buch?

Wenn ich ein Buch anfange, weiß ich, wie lange es dauern wird. Mal ein Jahr, mal zwei Monate, denn manche Bücher müssen schnell geschrieben werden, andere Stoffe brauchen Zeit. Aber im Grunde arbeite ich immer. Morgens, mittags und abends – meistens sogar bis Mitternacht.

Das Erscheinen Ihres ersten Romans „Mörder ohne Gesicht“ liegt 15 Jahre zurück. Was hat sich an der äußeren Realität, auch an der Ihrer Bücher, seitdem verändert?

Das sind ganz selbstverständliche Dinge des Alltags: Wir reden anders. Wir kleiden uns anders. Wir besitzen jetzt viel mehr Mobiltelefone. Und es gibt kaum noch Münztelefone. Außerdem rauchen die Menschen weniger.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie auf die Gesellschaft sehen durch den Spiegel des Verbrechens. Erwarten Sie denn auch, die Gesellschaft dadurch zu verändern?

Ich kann mit meiner Arbeit Fragen aufwerfen. Und das ist entscheidend. Denn ohne das nötige Bewusstsein kann man meiner Meinung nach nichts ändern. Es wäre jedoch lächerlich, wenn ich gleich fertige Antworten liefern würde. Im letzten Jahr beispielsweise habe ich sehr viel über Aids geredet. Ich denke, da haben viele zugehört. Allein das ist ein Erfolg, finde ich.

Sind die Menschen nicht ohnehin gut informiert durch die Medien?

Nein, es gibt eher einen Informationsüberfluss, ein mediales Rauschen. Zu viel unnötiger Input ist das, Lügen und Propaganda werden verbreitet. Da ist es schon besonders, wenn es jemand schafft, in einer Nicht-MTV-Sprache und vor allem langsam zu reden. Ich denke, oder hoffe zumindest, dass mir die Menschen zuhören – dass ich es schaffe, sie auch zu berühren.

Was stört Sie so an den modernen Massenmedien? Und an der schnellen MTV-Sprache?

Den dauernden elektronischen Sound finde ich unerträglich. In der U-Bahn ist man zum Beispiel gezwungen, anderer Leute Musik zu hören. Überall an öffentlichen Plätzen sind Fernseher platziert, die einen berieseln. Warum stellt die keiner ab? Oft läuft dort CNN ganz selbstverständlich in englischer Sprache – auch in Deutschland am Flughafen habe ich das erlebt. Warum? Die Franzosen etwa verteidigen ihre eigene Sprache viel intensiver. Das finde ich gut.

Was bewirkt die geräuschstarke Dauerberieselung in der Gesellschaft?

Die Krankheit der heutigen Zeit ist das Fehlen der Stille.Die Leute haben Angst vor der Stille. Doch ohne Stille würde es keine Musik geben. Fünfzig Prozent der Musik ist Stille. Und ohne Stille würde es wohl auch keine Menschen geben. Der Grund, weshalb so viele Deutsche gerne in die Wälder Schwedens reisen, ist sicher die Stille.

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland? Gibt es eine?

Meine Familie kommt aus Frankreich und aus Deutschland. Und als ich jung war, war ich oft in Berlin. Aber jeder hat das in Schweden – einen Bezug zu den Deutschen. In Stockholm vor 500 Jahren etwa: Wenn man die Augen geschlossen hat, hat man anscheinend immer einen Deutschen sprechen gehört. Der Einfluss ist riesig.

Sie leben heute abwechselnd in Mosambik und in Schweden. Wem drücken Sie bei der WM eigentlich die Daumen?

Ich denke, ich werde mir auf jeden Fall die Spiele mit Angola ansehen. Ich bin nicht so interessiert an der schwedischen Mannschaft. Wie in Angola eine Mannschaft aus unbekannten Spielern zusammengewachsen ist, ist einzigartig. Was das für ein Land bedeutet, das so gelitten hat und so vom Krieg zerstört wurde, jetzt bei der WM zu spielen. Für manche ist Fußball nur eine Menge Geld. Für andere ist es ihr ganzes Leben.

Geht’s im europäischen Fußball nur noch ums Geld? Oder gibt es auch andere Seiten?

Ein positives Beispiel ist Zidane. Was dieser Spieler für die jungen Franzosen oder für die Kinder der ganzen Welt bedeutet – ein Einwandererkind, das es so weit bringt! Und er spielt nicht nur gut, er hat auch eine einmalige Persönlichkeit: Er ist ruhig, entspannt, bescheiden – ein wunderbares Vorbild also. 1954 hat die deutsche Mannschaft auch mehr als nur Fußball gespielt. Die haben damals gezeigt: Wir können als Nation weiter bestehen.

Braucht die Jugend heute neue Vorbilder?

Junge Leute suchen nach Idolen. Zidane ist da doch tausendmal besser als beispielsweise Paris Hilton. Diese Glamour-Welt ist so hohl und zerstörerisch. Nichts zählt für diese oberflächlichen Menschen. Wir leben in einer schwierigen Welt. Mit fragwürdigen Idolen.

Sie selbst haben auch schon Kinderbücher geschrieben. Was ist der Unterschied zu den Erwachsenenromanen?

Es ist schwieriger, Kinderbücher zu schreiben. Kinder kann man nicht hinters Licht führen. Man kann ihnen nichts vormachen.

In Ihrem letzten Roman ist Wallanders Tochter Linda die Kommissarin ....

Ja, für mich war das interessant, aus der Perspektive einer jungen Frau zu schreiben. Außerdem sind Kinder immer Spezialisten, was ihre Eltern betrifft.

Was bedeutet Ihr kommerzieller Erfolg für Sie persönlich?

Erstens habe ich viel Geld. Zweitens ist die Steuer, die ich in Schweden bezahlen muss, sehr hoch. Drittens habe ich eine Menge Leser auf der ganzen Welt. Und das macht mich sehr, sehr froh.

Das Interview führte Corinne Schmid.

Henning Mankell, 58, hat weltweit über 22 Millionen Bücher verkauft. Der Schriftsteller pendelt ständig zwischen Schweden und Maputo in Mosambik, wo er das „Teatro Avenida“ leitet.

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