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Medien: Was Japan und die DDR der Welt voraus hatten

Annerose Neumann vom DFF war vor 40 Jahren die erste Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen

Von Thomas Klug

und Claus Bukowski

Nein, das kann keine gute Idee gewesen sein. Nicht damals und nicht in der DDR. Eine rote Nelke für Karl-Heinz Köpke und seine Mannschaft. Wenigstens wollte Annerose Neumann die nicht persönlich nach Hamburg zur „Tagesschau“ bringen, sie wollte sie schicken lassen, als kollegialen Gruß zum 1. Mai. Das muss auf den Gesichtern der Fernsehchefs in Adlershof, dem Sitz des Deutschen Fernsehfunks eine gewisse Blässe erzeugt haben. Wen haben sie sich da wieder ins Fernsehen geholt? Noch dazu ins Studio der „Aktuellen Kamera“? Köpke musste auf seine rote Nelke von der – nun ja – Konkurrenzsendung aus der DDR verzichten.

Auf so eine Idee kann wohl nur jemand kommen, der mal beim Kabarett war. Oder eine Frau ist. Vielleicht haben die Fernseh-Chefs das damals gedacht, gesagt jedenfalls hat es keiner. Schließlich wollten sie damals unbedingt eine Frau im Sprecher-Kollektiv der „Aktuellen Kamera“. Sechzehn Frauen hatte man zum Vorsprechen eingeladen; Annerose Neumann wurde erwählt. Die Herren Sprecher hatten sich schnell mit dem Unvermeidlichen abgefunden – eine Frau als Kollegin. Bisher gab es bei den Nachrichten nur Ingeborg Chrobock. Aber die sprach ausschließlich Bildberichte aus dem Off. Der erste Auftritt von Annerose Neumann wurde konspirativ vorbereitet – auf dem Ablaufplan steht noch heute Hans-Dieter Lange als Sprecher.

Als Annerose Neumann ihre Premiere haben sollte, tauchte die unvermeidliche Frage auf: Was anziehen? Schnell wurde gesucht, was Fernsehnachrichten-Sprecherinnen in anderen Ländern so tragen. Zuerst in der Sowjetunion. Dort gab es keine Nachrichtensprecherin. Im ganzen sozialistischen Lager nicht. Die ARD hatte nur Männer bei der „Tagesschau“, das ZDF gab es noch nicht, ganz Westeuropa war in den Fernsehnachrichten frauenlos. Auch die USA, Kanada und Südamerika. Einzig in Japan fand sich eine Frau. Der Fernostkorrespondent wurde losgeschickt: Die Fernsehnachrichtenfrau trug eine Kostümjacke. Also trug auch Annerose Neumann eine Kostümjacke, eine Freundin von der Interflug borgte sie ihr. Am 8. März 1963, dem internationalen Frauentag, sprach sie ihre ersten Sätze:

Guten Abend, meine Damen und Herren. Wie in vielen Ländern der Welt, wird der internationale Frauentag heute auch in allen Teilen der Deutschen Demokratischen Republik mit Festveranstaltungen der besten und aktivsten Frauengruppen begangen. In Berlin wurden bereits in den frühen Morgenstunden die Schaffnerinnen, Fahrerinnen und Wagenwäscherinnen auf den Betriebsbahnhöfen der BVG von ihren Mitarbeitern mit Blumen und Geschenken herzlich beglückwünscht.

Der Versuch wurde ausgewertet. Heinz Grote, damals Chefredakteur der „Aktuellen Kamera“ erinnert sich an seinen Kommentar: „Ich habe gar nicht zugehört, was sie gesagt hat, die ist zu schön für so was.“ Das ist vierzig Jahre her, für Fernsehverhältnisse ein Zeitraum, der im richtigen Leben in etwa dem zeitlichem Abstand zur Kreidezeit entspricht. Vielleicht ist deshalb so oft von den Dinosauriern des Fernsehens die Rede. Einer von ihnen ist in Vergessenheit geraten, dabei war seine Fernsehgeschichte eine kleine Weltsensation. Als erste Nachrichtenfrauen im deutschen Fernsehen werden jedenfalls andere gefeiert. Dagmar Berghoff, die 1976 mit der „Tagesschau“ auf Sendung ging. Und Wiebke Bruhns. Doch die fing erst 1971 beim ZDF an – da saß für die „Aktuellen Kamera“ schon eine weitere Frau in der ersten Reihe – Christel Kern.

Annerose Neumann arbeitete vor der Kamera mit Sätzen, die kaum jemand geradeaus sprechen kann. Geübt hat sie beim Staub wischen. Nicht Nachrichten hat sie auswendig gelernt, wenngleich viele Meldungen aus der Protokollabteilung des Zentralkomitees vorhersehbar waren, sondern die sich ständig wiederholenden Floskeln: Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht. Die Floskeln kann sie noch heute.

Die „Aktuelle Kamera“ war mehr als Propagandamaschine. Man wollte positive Nachrichten, die von Fortschritten allenthalben erzählen. Als Walentina Tereschkowa als erste Kosmonautin am 16. Juni 1963 mit Wostok 4 die Erde umkreiste, warfen die Verantwortlichen beim DFF den Dienstplan um. Diesen Triumph einer sozialistischen Frau sollte ihre Frau verkünden. Annerose Neumann machte den ganzen Tag über Kosmonautenstudio.

Nach 14 Jahren „Aktuelle Kamera“ war es genug. Zwischenzeitlich hatte sie in Leipzig Journalistik studiert. Als dann das Angebot kam, in der Redaktion Außenpolitik die „Intervision“, die sozialistische Schwester der „Eurovision“, aufzubauen, hat sie nur kurz überlegt. Ihre einzige Bedingung: Keine Rückkehr auf den Bildschirm, auch nicht vertretungsweise. Als sie die „Aktuelle Kamera“ verließ, waren dort Frauen schon Normalität. Sehr viel später kam dann Angelika Unterlauf, die noch heute als das Gesicht der „Aktuellen Kamera“ gilt. Der Rias, für die DDR der mediale Klassenfeind schlechthin, ließ gar ein Lied auf sie dichten: „Angelika, Angelika – vom Fernsehen in der DDR“. Annerose Neumann wurde nicht besungen. Aber wieder einmal hatte sie eine Idee, die abgelehnt wurde. Die Spätnachrichten, so ihr Wunsch, könne sie doch mal im Flatterhemd lesen. Schließlich sind die Zuschauer dann auch schon bettfertig. Vielleicht lag es an diesen Ideen, dass das DDR-Fernsehen nie damit angegeben hat, weltweit der zweite Sender gewesen zu sein, der Nachrichtensprecherinnen beschäftigte.

Thomas Klug, Claus Bukowski

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