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Washington Post: Warum Jeff Bezos das Traditionsblatt erwarb

Es kriselte schon lange. Und die Redakteure der „Washington Post“ hatten mit einem Verkauf der Zeitung gerechnet – aber niemals mit diesem Käufer. Jetzt fragen alle: Was will Jeff Bezos, der moderne Tycoon des Internetzeitalters, mit dem Traditionshaus?

Die Nachricht platzte mitten in die Zeitungsproduktion. Gegen 16 Uhr am Nachmittag richtete sich Katharine Weymouth an „ihre“ Redakteure der „Post“, wie die „Washington Post“ von ihren Mitarbeitern genannt wird. Es gebe etwas zu verkünden, teilte Weymouth mit, die jüngste Vertreterin der Verlegerdynastie, die die Zeitung in der vierten Generation besitzt. Man möge bitte ins Auditorium kommen.

Kurz vor Redaktionsschluss?

Die Information musste von großer Wichtigkeit sein. Die Unruhe an den mit Stellwänden voneinander abgetrennten Redaktionstischen im Newsroom wuchs, so erzählt es ein Redaktionsmitglied. Im Saal ergriff dann Donald Graham, der Verlagschef und Weymouth‘ Onkel das Wort. Ohne Umschweife, aber doch mit einigem Stocken verkündete er den Verkauf der altehrwürdigen „Washington Post“ an Jeff Bezos, Gründer und Chef von Amazon. Und zwar an Bezos als Privatperson, nicht an das Internetversandunternehmen.

Die „Washington Post“, seit Veröffentlichung der Pentagon Papers 1971 und der Enthüllung des Watergate-Skandals im Jahr darauf der Inbegriff des aufdeckenden Journalismus, ein Flaggschiff der journalistischen Beständigkeit und neben der „New York Times“ die wohl bedeutendste Zeitung in den USA, im Besitz derselben Verlegerfamilie seit dem 1. Juni 1933, geht an einen der modernen Tycoons des Internetzeitalters. Eine Zeitenwende, so scheint es, in Tagen, an denen die Zukunft der gedruckten Nachricht neu verhandelt wird.

Wie soll man den Deal verstehen?

Katharine Weymouth, der Erzählung nach deutlich gefasster als ihr Onkel, verliest einen Brief des neuen Eigentümers an die Redaktion. „There will, of course, be change“, ist zu hören. Es werde natürlich Veränderungen geben, ist Bezos’ Botschaft, aber die, sagt er, hätte es ohnehin gegeben.

Anfeindungen gibt es kaum aus dem Saal. Und das nicht nur wegen der vielen lobenden Worte, die Don Graham für Bezos, mit dem er nach Darstellung der „Post“ innerhalb eines Monats handelseinig wurde, in seiner kurzen Ansprache findet. Denn, Bezos gilt vielen Redakteuren nicht als schlechteste Option: ein erfolgreicher Unternehmer mit dem nötigen Kapital in schwierigen Zeiten.

Trotzdem seien alle geschockt gewesen, sagt einer, der dabei war. Don Graham sei immer stolz gewesen, alle Angestellten des Hauses mit Namen zu kennen. Und damals, Anfang der 90er Jahre, zählte die Redaktion über tausend Mitarbeiter. „Wir fühlen uns wohl hier“, sagte Graham oft und meinte die Redaktion, ihr Haus, das Arbeitsklima, das die leitenden Familienmitglieder stets einbezogen hat. Die Zeitung und die Familie, das gehörte schon immer zusammen – spätestens seit Katharine Graham, die legendäre Lady, das Blatt zum Zentrum der Kommunikation und des Einflusses im Washington der 70er Jahre gemacht hat.

Viele Angestellte der „Post“ waren davon ausgegangen, dass etwas dieser Art kommen könnte. Der Verkauf des Hauses etwa, im Herzen der Hauptstadt, nur wenige Minuten zu Fuß vom Weißen Haus entfernt, hatte hier keinen überrascht. Angesichts der finanziellen Entwicklung. Der Erlös, hieß es heute von der „Post“, sei in den vergangenen sieben Jahren stetig gesunken. Die Zeitungsabteilung mit der „Post“ als zentralem Bestandteil habe in den vergangenen sechs Jahren 44 Prozent ihres Gewinns eingebüßt. „Wir wussten“, sagt Don Graham in einem Webcast der Zeitung, „dass wir die ,Post’ am Leben halten konnten, dass sie durchkommen würde.“ Aber genügte das? Den Grahams nicht. So entschloss sich die Familie zu dem für sie drastischen Schritt.

„Bizarr“ nennen selbst Insider dieses Geschäft

Was ist nur los, dass sich die Traditionalisten des Zeitungswesens wie unter anderem der Springer-Konzern von ihren Stammblättern trennen – und die Internetter eben diese angeblich antiquierten Zeitungen übernehmen? Die Suche nach neuen Wegen des gedruckten Journalismus im Internetzeitalter gilt in den Vereinigten Staaten mehr noch als in Deutschland als Überlebensfrage. Erst am Wochenende hatte die „New York Times“ bekannt gegeben, dass sie den „Boston Globe“, die größte Zeitung Neuenglands, für nur 70 Millionen Dollar an den Unternehmer und Besitzer des Bostoner Baseballteams, John Henry, verkauft.

Vor einem Jahr hatte die „Washington Post“ selbst in einem Bericht über die am stärksten schrumpfenden Wirtschaftsbereiche die Zeitungsbranche an zweiter Stelle gesehen. Nur das Geschäft mit dem Ausdrucken von Fotos verfalle noch schneller. Es folgten Reparaturbetriebe für Haushaltsgeräte, der Videoverleih, Tonaufnahmegeräte und einzelne Branchen der Schuh- und Textilindustrie.

Im Unterschied zu Kleidungsartikeln müssen Amerikas Zeitungen keine Billiglohnkonkurrenz aus dem Ausland fürchten. Ihr Problem ist die Veränderung auf dem Lesermarkt. Im Schnitt sind die Einkünfte in der Zeitungsbranche in jedem der letzten Jahre um 6,4 Prozent gefallen, die Anzeigenerlöse im Verlauf der letzten sechs Jahre sogar um 55 Prozent.

Je nach den örtlichen Gegebenheiten sind die finanziellen Bedingungen in den USA höchst unterschiedlich. Zahlreiche Regionalzeitungen haben ein Monopol in ihrem Verbreitungsgebiet und erzielen zehn bis 15 Prozent Rendite.

Doch der Trend ist eindeutig. Mehr als 200 Zeitungen sind in den letzten Jahrzehnten in den USA eingestellt worden, darunter so traditionsreiche wie die „Rocky Mountain News“ in Denver, der „Seattle Post-Intelligencer“, der „Los Angeles Herald“, die „Cincinnati Post“. Sie fanden keine Käufer mehr.

„Bizarr“ nennen selbst Insider der Technologie-Lobby in Washington den Kauf der „Post“ durch einen wie Amazon-Chef Jeff Bezos. Der hat mit seinem Engagement für den E-Book-Reader offensiv um ein anderes Leseverhalten geworben. Was will Bezos mit der „Post“?

Der Käufer Jeff Bezos hat zwar kaum Erfahrung mit dem Zeitungsgeschäft, versteht aber viel vom Verkaufen im Internet. Es ist sozusagen eine Wette, ob und wie man mit Zeitungsinhalten künftig genug Geld verdienen kann, um die Kosten einer Redaktion zu decken. Er will weiterexperimentieren – und damit er das ungestört von öffentlichem Erfolgsdruck machen kann, wurde dieser spezielle Deal eingefädelt: Bezos kauft nur die Zeitung und löst sie aus der Aktiengesellschaft Washington Post Company heraus – damit entfällt die Berichtspflicht für Aktionäre.

Die „Post“, das ist vor allem journalistisches Rückgrat. Nachdem die „New York Times“ gerichtlich angewiesen worden war, die Wahrheiten über den Vietnam-Krieg nicht weiter zu veröffentlichen, war es Katharine Graham, die sagte: Wir machen das. So wurden die Pentagon Papers weiter publik. Graham stand hinter ihren Reportern Bob Woodward und Carl Bernstein, als diese einen zunächst scheinbar harmlosen Einbruch im Washingtoner Watergate-Gebäude näher untersuchten. Später wurde ihr Spürsinn von Hollywood verfilmt, mit Robert Redford und Dustin Hoffman in den Hauptrollen, und wenn Menschen heute glauben, sie wüssten, was Journalismus ist, dann weil sie „The President’s Men“ gesehen haben.

Der „drittklassige Einbruch“, wie US-Präsident Richard Nixon ihn nannte, entpuppte sich als einer der größten Skandale in der US-Politik. Eine durch Nixon selbst angeheuerte Truppe, die „Klempner“, war im Präsidentschaftswahlkampf ins demokratische Wahlkampfbüro eingedrungen, um die Demokraten auszuspionieren und die Büros zu verwanzen. Für ihre Recherchen gewannen die beiden Journalisten 1977 den begehrten Pulitzerpreis. US-Präsident Nixon trat 1974 zurück.

Jeff Bezos sagt, er wolle die Zeitung als "Labor" nutzen

Die „Washington Post“ gehört deshalb zu den nationalen Schmuckstücken. Sie beschäftigt 2000 Angestellte, darunter 600 Journalisten und unterhält weltweit Korrespondentenbüros. Aber auch sie ist vor dem allgemeinen Auflagenschwund nicht gefeit. Seit 2002 fiel die Auflage von 769 000 auf 472 000. Dabei hatten die Grahams durchaus Neues versucht. Längst ist hier Standard, dass Print- und Onlineredakteure in derselben Redaktion arbeiten. Es gibt eine Bezahlschranke und eigene Webcasts.

Wer ist also der Mann, der glaubt, für ein solches Traditionsunternehmen besser zu sein als die Familie, der es ans Herz gewachsen war? Für viele Amerikaner ist er vor allem der lachende Mann. In einem Interview mit dem amerikanischen Börsensender CNBC brach es einmal so heftig aus ihm heraus, dass der Sender Bezos’ Gelächter jahrelang wiederholte – immer wenn irgendwas lustig war, blendete man den Lacher ein.

Jeff Bezos hat allen Grund zu lachen. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen blickt er auf eine fantastische Erfolgskarriere zurück. In New Mexiko geboren, war seine Mutter noch keine 20, als sie für ihn sorgen musste, ihre Ehe hielt nicht lange. Sie heiratete erneut, einen Einwanderer aus Kuba, der den kleinen Jeff adoptierte und sich über die Uni in Albuquerque bis zum Techniker beim Ölriesen Exxon hocharbeitete. Von ihm dürfte Jeff seinen technischen Spürsinn geerbt haben. Bereits als Kleinkind soll er zu Hause seine Wiege sorgsam demontiert haben, auf der Farm seines Großvaters reparierte er als Kind Windmühlen, seine jüngeren Geschwister hielt er mit einer selbst gebauten Alarmanlage von seinem Zimmer fern.

Anfang der 90er Jahre arbeitete Bezos bei einem Hedgefonds an der Wall Street – doch erfüllend war die Arbeit nicht. Viel interessanter schien ihm das Internet, das immer mehr an Bedeutung gewann. Auf einem Road-Trip von New York nach Seattle schrieb er einen Businessplan, eine Geschäftsidee auf ein paar Seiten, aus der einer der weltgrößten Online-Konzerne werden sollte: Amazon.com.

Zunächst verkaufte Bezos nur Bücher, Fachliteratur, die in Buchhandlungen schwer zu erhalten war. Es war dieses Denken, das ihn groß werden ließ: Wie Waren einfacher zum Konsumenten bringen, als es die herkömmlichen Vertriebswege anboten? Der erste Amazon-Kunde zahlte für „Fluid Concepts and Creative Analogies“, ein Buch über Denkmodelle des amerikanischen Physikers Douglas Hofstadter. Bezos konnte damals nicht ahnen, dass er ein paar Jahre später die Abenteuer von Harry Potter in Millionen von Haushalte verschicken würde.

In Haushalte übrigens, die auf ihre Buchkäufe keine Mehrwertsteuer zahlen mussten. Denn von der waren und sind Onlinehändler befreit, wenn sie im jeweiligen Bundesstaat keine feste Präsenz haben. Diese seinerzeit neue Regelung lockte Bezos nach Seattle. In Washington, dem nordwestlichsten Staat der USA, gibt es gut ausgebildete Techniker, aber vergleichsweise wenig Einwohner – folglich wenig steuerpflichtige Transaktionen. Bezos hatte ein neues Gesetz ideal genutzt, bevor andere auf die Idee kamen – schon damals dürfte er mit einem schallenden Lachen gefeiert haben.

Seitdem ist Amazon von einem Buchhändler zu einem universellen Online-Großhandel angewachsen: Kunden kaufen alles per Mausklick, vom Klopapier bis zum Computer. Wobei das Kerngeschäft mit Kulturgütern dem Konzern auch eine furchterregende Dominanz über das amerikanische Verlagswesen beschert hat. Längst nämlich umgeht Amazon mit eigenen Buchprojekten die Verlagshoheit der Buchbranche. Seine niedrigen Kampfpreise drängen Konkurrenten aus dem Geschäft.

Die „Washington Post“, das Traditionsblatt, das Bezos nun für 250 Millionen Dollar erwarb, wird nicht direkt Bestandteil des Amazon-Imperiums. Was viele so deuten, dass er es nicht als finanzielle Investition betrachtet. Bezos, dessen Privatvermögen bei rund 25 Milliarden Dollar liegt, hat den Zeitungsverlag privat erworben – als Labor, wie er selbst sagt. „Zeitungen sind die neuen Trophäen der Milliardäre“, meint die „Times“. „Manche Milliardäre mögen Autos, Jachten und Privatjets, andere mögen Zeitungen.“ Und die sind zurzeit günstig zu haben.

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