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Medien: WDR-Kosovo-Film: Mit der Kerzenmethode

Es kommt nicht oft vor, dass eine vornehme Zeitung wie die "FAZ" sich in Kollegenschelte übt. Schon gar nicht ein Korrespondent wie der mehrfach ausgezeichnete Osteuropa-Experte Matthias Rüb.

Von Caroline Fetscher

Es kommt nicht oft vor, dass eine vornehme Zeitung wie die "FAZ" sich in Kollegenschelte übt. Schon gar nicht ein Korrespondent wie der mehrfach ausgezeichnete Osteuropa-Experte Matthias Rüb. Wenn man einen Sachverhalt profunder schildern kann als ein Kollege, dann macht man das einfach, so ist die Devise der "FAZ", anstatt anderen am Zeug zu flicken. Gleichwohl hat Rüb unlängst - am 10. Februar ("Logik des Massakers") und am 1. März ("Ein Fall von Bulldozer-Journalismus") - lange Spalten mit der Kritik an einem Fernsehfilm gefüllt; zuletzt eine ganze Zeitungsseite.

Gegenstand seiner Kritik war die WDR-Produktion "Die Story: Es begann mit einer Lüge" von Mathias Werth und Jo Angerer zur Kosovo-Intervention der Nato 1999. Neben Rüb meldeten sich andere Kritiker (wir berichteten), die den am 8. Februar in der ARD gezeigten Film für untragbar hielten. Nur der "Stern" - ausgerechnet das Magazin, das zwei erprobte Reporter im Kosovo verlor - jubelte, es gebe noch "Sternstunden im Journalismus". Der "Stern"-Kommentator jedoch zählt weder zu den Balkankennern noch zu den Kriegsreportern.

Als eine Fernsehproduktion aus der "Monitor"-Redaktion setzte sich die WDR-Dokumentation hohe Maßstäbe. Sie wollte nichts weniger, als den Beweis führen, dass die Nato im Fall Kosovo von einer Rebellenarmee - der kosovo-albanischen UCK - an der Nase herumgeführt wurde, dass es die von Minister Scharping behaupteten Massaker an der albanischen Zivilbevölkerung in der serbischen Provinz nie gegeben hatte - mithin, dass hier ein Fall von grober Geschichts- und Tatsachenfälschung vorliege.

Krise um den Krisenfilm

Inzwischen geriet das Fernsehteam selbst unter Verdacht, gefälscht und manipuliert zu haben, und bei der ARD wie dem WDR gibt es hinter verschlossenen Türen heftige Diskussionen. Die Krise um den Krisenfilm wurde nicht gerade entschärft, als dieser bei den letzten Anhängern von Slobodan Milosevic Begeisterung hervorrief. Mehrfach wurde er in den vergangenen Wochen, immer mit serbischer Simultanübersetzung, auf YU-info, Privatsender der Milosevic-Ehefrau Mira Markovic, gezeigt - zum Ärger des WDR, wo man gegen diese ausdrücklich nicht genehmigte Ausstrahlung jetzt juristisch vorgeht.

Im Kosovo selbst, wo viele Leute deutsch sprechen und deutsches Fernsehen per Satellit empfangen, hatte der Film bereits Aufruhr verursacht. Rupert Neudeck, "Cap Anamur"-Gründer und hypereifriger Aktivist in der Region, rief "seine kosovarischen Freunde" in der angesehen Zeitung "Koha Ditore" dazu auf, gegen die Sendung zu protestieren. Unsaubere und einseitige Recherche wirft den Filmemachern auch ihr Übersetzer vor, Besnik Hamiti aus Prishtina. In einem privaten Gespräch mit dem Kfor-Pressesprecher Harald Rettelbach beschwerte sich Hamiti, die Regisseure hätten alle Zeugen und Informationen ausgeblendet, die ihnen nicht ins Konzept passten. Rettelbach informierte die Medien, beim WDR gab es Alarm. Besnik Hamiti, der auch als freier Mitarbeiter für die ARD Aufträge erhält, gab das Südosteuropa-Studio schriftlich zu verstehen, er möge sich nicht zu Interna öffentlich äußern - was er ja übrigens gar nicht getan hatte.

Auslassen, wegschneiden ist eine Manipulation, der man im wahrsten Wortsinn nichts ansieht. Für ein wenig informiertes oder naives Publikum schien "Es begann mit einer Lüge" tatsächlich Ungeheuerlichkeiten zu belegen, Manipulationen und Übertreibungen. So sah man etwa Rudolf Scharping mit der Frage konfrontiert, wie er dazu kam, zu behaupten, Dächer im Kosovo seien mit der sogenannten "Kerzen-Methode" gesprengt worden, die doch physikalisch unmöglich sei: Im Dachstuhl eines Hauses wird eine brennende Kerze aufgestellt, im Keller eine Gasflasche geöffnet, und so das Dach weggesprengt. Werth und Angerer, beide von Haus aus Naturwissenschaftler, bestreiten, dass das funktioniert. Dutzende von Malen haben Kosovo-Albaner uns Korrespondenten erzählt, dass ihre Dörfer auf diese Weise zerstört wurden. Genau wie Scharping haben wir das geglaubt. "Ist es nicht eigentlich verdammt egal, wie die Dächer weggefackelt wurden?!" erregt sich ein in Prishtina arbeitender Kfor-Soldat über den Film. Tatsache ist: Zigtausende von Dachstühlen waren verkohlt. Doch die ARD-Zuschauer bekamen die verbrannten Dörfer nicht zu sehen. Es entstand der Eindruck, Scharping habe mit Worten aus intakten Häusern eine Potemkinsche Kriegskulisse gebaut. Diverse "Kerzenmethoden" haben die Autoren Werth und Angerer selber und ohne Erfolg ausprobiert.

Ohne die Hintergründe, den historischen Rahmen oder die komplexe internationale Rechtssituation zu erklären, stürzten sie sich in ihr Projekt, das sie "nur von dem Tag an interessierte, als der Krieg begann", wie Werth dem Tagesspiegel sagte. Mit der Tendenz der Sache liegt er im Trend. Aus "mafiösen Albanern" waren während der Kosovo-Krise in den Augen der westlichen Öffentlichkeit arme Opfer geworden -, nur um nach der Krise zurück ins Balkanische zu mutieren. Umgekehrt sah es bald bei Volkes Stimme mit "den Serben" aus. Trotzdem bemühten sich die seriösen Medien weiter um Differenzierung. Eine Reportage zu zeigen, die dem schlichten Muster "Dumme-Nato-Gute-Serben" folgt, das darf einem seriösen Sender eigentlich nicht passieren.

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