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Web und Comic: Gedrucktes Internet

Kruder Humor, Experimentierfreude, Renaissance klassischer Titel: Das Phänomen Webcomics zeigt, wie altes und neues Medium voneinander profitieren können.

Online-Comics, kurz Webcomics, haben es nicht leicht. Sie haben oft mehr Leser als traditionelle Comics. Noch immer scheint aber zu gelten: kein Buch, keine Aufmerksamkeit. „Meistens wurde ich nur in einer Reihe mit Asterix genannt“, sagt Webcomic-Zeichner Johannes Kretzschmar über seinen Sieg beim „Web-Sondermann 2010“, dem ersten deutschen Preis für Webcomics im Rahmen des Sondermann-Comicpreises auf der Frankfurter Buchmesse. Parallel zu solchen Auszeichnungen gelangen aber immer mehr Webcomics auch in traditionelle Verlagswelten. Aktuell bei Panini erschienen ist „Freakangels“, die deutsche Übersetzung des Online-Comics von Warren Ellis, einem der vielleicht bedeutendsten modernen Comicautoren.

Als Webcomic werden Comics bezeichnet, die von unabhängigen Künstlern primär für die Online-Veröffentlichung gezeichnet werden und in regelmäßigen Abständen erscheinen. Webcomics können als eine eigene Comicform gesehen werden: Teilweise kruder Humor steht neben einer seltenen Experimentierfreude sowie einer Wiederbelebung klassischer Comicstrips. Die lesenswertesten Comics sind oft Teil von Künstlerkollektiven wie dem US-amerikanischem TopatoCo (topatoco.com), dem kanadischen Transmission X (txcomics.com) oder dem deutschen MyComics.de (mycomics.de). Die Künstler vernetzen sich dabei selbstständig: Johannes Kretzschmars Comicblog „Beetlebum“ (beetlebum.de) verlinkt zu eher unbekannten deutschen Webcomics, zum Beispiel über den Alltag einer WG mit einem Elefanten als Mitbewohner (sarahburrini.com).

Warum aber werden Webcomics überhaupt gedruckt, wenn sie denn tatsächlich eine neue digitale Kunstform darstellen sollen? Es mag anachronistisch erscheinen, „das Internet“ abdrucken zu wollen. Im Falle der Webcomics führt es dazu, gängige Definitionen der Online-Cartoons zu überdenken. Was können Webcomics „gewinnen“, wenn sie gedruckt werden? Webcomicbände sind vor allem – immer Werkschauen. Sie markieren einen Abschnitt in der Entwicklung des Comics und des Comickünstlers.

Gleichzeitig sind sie auch Prestigeobjekt für Webcomic-Fans. „Print ist immer noch die Königsklasse für die Aufmerksamkeit in- und außerhalb der Comicszene“, sagt Johannes Kretzschmar. Webcomic-Bände ermöglichen auch eine Unterstützung von Künstlern, die sich meistens durch den Verkauf von Merchandising querfinanzieren.

Der Buch-Band „Freakangels“ ist in dieser Hinsicht ein Sonderling. Der Comic über eine Gruppe von übernatürlich begabten Spät-Jugendlichen, die aus Versehen die Welt fast in den Untergang stürzen und im überfluteten London versuchen, eine neue Gesellschaft aufzubauen, ist kein Produkt eines unbekannten Künstlers, sondern des namhaften britischen Autors Warren Ellis. „Freakangels“ ist auch kein komplett unabhängiger Comic, der sich nur über Merchandising finanziert, sondern wird vom Comicverlag Avatar Press unterstützt. „Freakangels“ ist ein Webcomic, aber es ignoriert gängige Definitionen. Bietet www.freakangels.com einen wöchentlich erscheinenden Comic in Serienform, so wird erst in der Printausgabe sichtbar, wie charakteristisch die Farbübergänge sind, wenn die Erzählung von einem Protagonisten zum anderen springt. Oder wie gut der Zeichner Paul Duffield es schafft, auf kleinste Details überzublenden, etwa auf junge Erdbeeren, die in den Freakangels-Gärten wachsen. Bis auf die Klappentexte deutet in aktuellen Webcomic-Bänden nichts daraufhin, dass es sich um Webcomics handelt. Es scheint einen Generationswechsel in der Comicwelt zu geben.

Die Verlage gehen dementsprechend auch dazu über, Comicleser beider Lager gleichermaßen anzusprechen, wie mit den beiden Bänden „Comic Revolution“ und „MyComics Band 1“ (beide Panini). Darin sind Comics teils namhafter Autoren, die in der Printcomicwelt zu Hause sind, aber nun für neue Leser als Webcomics aufbereitet werden. In den kommenden Jahren werden Webcomics aus der größeren Comickultur nicht wegzudenken sein.

Dennis Kogel

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