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Medien: Wehe, wenn die Tür klemmt

Neue Ära in der TV-Geschichte? Beim ersten live gespielten Fernsehfilm hängt viel von einem Auto ab

Es gab schon einige Versuche, im Fernsehen etwas Besonderes zu machen. Versuche, die übliche Produktionsroutine, die übliche Ästhetik, Erfahrungsmuster beim Zuschauer zu durchkreuzen. Versuche, mit den Möglichkeiten des Mediums zu spielen, auch beim Fernsehfilm. Interaktive Krimis oder Erzählstrukturen in Echtzeit wie bei der US-Serie „24“, wo 24 einstündige Folgen einen ganzen Tag im Leben der Hauptfigur zeigen. Aber das, was heute Abend beim ZDF läuft, hat es noch nicht gegeben: „LiveMovie: Feuer in der Nacht“, der erste live gespielte Film im deutschen Fernsehen.

Fernsehen in Echtzeit – was der Zuschauer dort zwischen 20 Uhr 15 und 21 Uhr 45 sieht, wird in dieser Zeit an zwei verschiedenen Originalplätzen in Berlin live gespielt. Bei „Wetten, dass…?“ oder Fußballspielen ist das völlig normal, bei abendfüllenden Spielfilmen unter modernen Produktionsbedingungen Neuland. Vor 50 Jahren hat es regelmäßig Live-Events gegeben. Bis 1958 war jedes im Fernsehen gezeigte Fernsehspiel live. Erst mit der Einführung der Magnetaufzeichnung 1959 wurde das Vorproduzieren von Sendungen möglich. Nur zu besonderen Anlässen wurden TV-Filme in Echtzeit gesendet, so 1983 Dieter Wedel mit „Das Protokoll“, dem so genannten Eichmann-Protokoll, oder Anfang der 90er Jahre in den USA eine Folge von „Emergency Room“. Später gab es noch das US-Format „Fail Safe“, ein Kalter-Kriegs-Drama mit George Clooney.

„Das war zu statisch, wurde in Studios produziert“, sagt Dirk Eggers, der Producer von „Feuer in der Nacht“. Das deutsche „LiveMovie“ findet draußen statt. Und in den Medien. Wenn der Film so gut läuft wie die PR-Kampagne der letzten Wochen, könnte das klappen. Am Freitag wurden Journalisten zu einem der beiden Originalschauplätze (in Zehlendorf) geführt. Der andere befindet sich in der Kantstraße, die seit Tagen weiträumig abgesperrt ist. Sieht alles nach einer aufwendigen Produktion aus. Der Film soll aber nicht teurer sein als ein herkömmlicher TV-Film, sagt der Producer.

Die Geschichte ist gut, aber nicht sonderlich spektakulär. Ein Polizist hat einen unschuldigen Mann erschossen, droht, sich und seine Familie umzubringen, weil ihn seine Frau verlassen will. Um das in Echtzeit zu erzählen, braucht es: 20 Techniker, 18 mobile Funkkameras, diverse Befehlsketten, Sprecheinrichtungen, ein medial aufgerüstetes Taxi, einen Ü-Wagen mit neun Monitoren, in dem Regisseur Kai Wessel am Abend sitzt, seinen Film überwacht. Klingt fast unmöglich in einem Medium, wo sonst alles durchkalkuliert wird. „Das, was man an technischer Einschränkung verliert“, hofft Producer Dirk Eggers, „gewinnt man an Intensität der Schauspieler zurück.“ Die sind erstklassig, mit das Beste, was in Deutschland zu haben ist. „Wunderbar, drei bis vier Wochen Zeit für Proben zu haben“, sagt Martina Gedeck. Christian Berkel: „Im Gegensatz zum Theater gibt es aber nur eine Vorstellung.“ August Diehl: „Es geht bei dem Projekt um den einen Moment, es gibt keine Auf- oder Abtritte.“

In fünf Durchläufen haben Schauspieler und Team den heutigen Abend geprobt. Nur: Was ist, wenn’s trotzdem schief geht? Das ZDF riskiert viel zur Primetime. Strom- oder Textausfall, Windstärke zwölf, klemmende Türen, Schaulustige, Unfall oder Stau zwischen den beiden Schauplätzen und das Taxi, das Figuren von einem Ort zum anderen fahren soll.

Vor ein paar Wochen hatte die ARD eine spektakuläre Live-Panne zur besten Sendezeit, als beim Bundesligaspiel in Bremen der Strom ausfiel. Da gab’s dann Chaos im Ersten. So was soll bei „Feuer in der Nacht“ nicht passieren. Man habe Szenen vorbereitet, so der Producer, die sofort gespielt werden können – „wenn das Taxi nicht rechtzeitig kommt“, wenn die von ihrem Mann bedrohte Paola (Martina Gedeck) vergeblich auf Seelsorger Lukas (August Diehl) wartet. Improvisierter Film also, das hätte vielleicht sogar auch so einen Charme wie die Impro-Comedy in der Sat1-„Schillerstraße“.

Ob der ganze Aufwand, diese Unmittelbarkeit überhaupt über den Bildschirm kommen? Der Zuschauer hat sich in Sachen TV-Experimente oft als stures Wesen gezeigt. Ob interaktiver „Tatort“, Fahndung per SMS (beim ZDF-Krimi „Mörderisches Spiel“ durften Zuschauer mitraten), online Am-Buch-Mitschreiben („Wilsberg“) oder der TV-Flm „Mörderische Entscheidung – Umschalten erwünscht“ (1991), der seine Geschichte auf zwei Kanälen gleichzeitig erzählt hat – müde Plots werden durch interessante Formen nicht besser. Hitchcocks Thriller „Cocktail für eine Leiche“, der so aussieht, als bestünde der Film aus einer einzigen ununterbrochenen Einstellung, funktionierte, weil die Story gut war.

Schließlich, so ZDF-Redakteur Pit Rampelt, entscheide die Quote darüber, ob „LiveMovie“ ein einmaliges Experiment bleibt oder ein neues Reihenformat kreiert. An „eine ganz neue Ära der Fernsehgeschichte“ (ZDF-Werbung) wagt man in Zeiten von Trash-TV und mutlosen Fernsehfilmredaktionen kaum zu glauben. Wäre aber schon mal gut, wenn es heute Abend um neun keinen Stau im Berliner Westen gibt.

„LiveMovie: Feuer in der Nacht“, ZDF, 20 Uhr 15

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