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Solidarität mit Deniz Yücel. Der Korrespondent der „Welt“ wird seit Dienstag vergangener Woche von der Polizei in Istanbul festgehalten.

© Axel Schmidt/Reuters

"Welt"-Korrespondent Yücel in türkischer Haft: „Ein verheerendes Signal“

Interview mit „ROG“-Geschäftsführer Christian Mihr über den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel in türkischer Haft.

Herr Mihr, der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, wird von der Polizei in Istanbul festgehalten. Seinen Anwälten wurde gesagt, dass gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Datenmissbrauch ermittelt werde. Ist die Festsetzung pure Willkür oder hat Deniz Yücel mit seiner Berichterstattung tatsächlich gegen geltendes türkisches Recht verstoßen?

Die Vorwürfe gegen Deniz Yücel beziehen sich offenbar auf seine Berichte über die Inhalte gehackter E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak, der zugleich ein Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist. Hinter der Veröffentlichung dieser E-Mails steht ein linksradikales Hacker-Kollektiv, das von den türkischen Behörden als terroristische Organisation eingestuft wird. Allerdings vergibt die türkische Regierung das Etikett „Terrorist“ inzwischen an praktisch jeden Kritiker, nicht zuletzt an viele andere kritische Journalisten. Und aus den Berichten Yücels über diese E-Mails auf eine Mitgliedschaft in dem Hacker-Kollektiv zu schließen, erscheint doch als reichlich konstruiert.

Musste der Korrespondent nach seinen Berichten über eine Hacker-Attacke auf das E-Mail-Konto des türkischen Energieministers nicht mit dieser massiven Reaktion rechnen? Die Türkei steht auf der ROG-Liste für die weltweite Pressefreiheit auf Platz 151.

Dass ein Hacker-Angriff auf ein privates E-Mail-Konto nicht die feine englische Art ist, bezweifelt wohl niemand. Aber der Inhalt der gehackten E-Mails ist auf Wikipedia frei verfügbar, und er ist ebenso zweifellos von öffentlichem Interesse: Unter anderem haben sie neue Belege für die Einflussnahme Albayraks und Erdogans auf türkische Medien geliefert. Eine ganze Reihe türkischer und internationaler Medien hat darüber berichtet. Deniz Yücel hat nur getan, was seine ureigene Aufgabe als Journalist ist, nämlich den Mächtigen auf die Finger zu schauen.

„Reporter ohne Grenzen“, aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fordern ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Kann Deniz Yücel damit rechnen?

Das ist schwer einzuschätzen. Die Erfahrungen mit der türkischen Justiz seit Beginn des Ausnahmezustands geben in dieser Hinsicht natürlich Anlass zu starken Zweifeln. In manchen Fällen lesen sich die Urteile, als wären sie von anderen Fällen wortgleich kopiert. Andererseits hat Deniz Yücel eigentlich günstige Voraussetzungen geschaffen, indem er sich freiwillig zur Polizei begeben und damit seine Kooperationsbereitschaft signalisiert hat. Nun muss man erst einmal hoffen, dass die Behörden das auch so auffassen und entsprechend reagieren.

Christian Mihr ist Geschäftsführer der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ in Berlin (www.reporter-ohne-grenzen.de).
Christian Mihr ist Geschäftsführer der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ in Berlin (www.reporter-ohne-grenzen.de).

© ROG, Dietmar Gust

Was erwarten Sie? Eine baldige Freilassung von Deniz Yücel, eine Ausweisung, eine Anklage?

Nach menschlichem Ermessen dürften die Vorwürfe gegen Deniz Yücel keiner näheren Überprüfung standhalten und er müsste sofort freigelassen werden. Spätestens kommenden Dienstag muss er einem Staatsanwalt vorgeführt werden. Der muss ihn dann freilassen oder einen Haftbefehl beantragen. Sollte man Yücel dann allerdings in Untersuchungshaft nehmen, wäre das wirklich ein weiteres verheerendes Signal.

Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ist mehr als prekär. Laut ROG sitzen rund 150 Journalisten im Gefängnis. Stört es denn die Mehrheit der Bevölkerung, dass die Berichterstattung nicht unabhängig erfolgen kann?

Das ist natürlich schwer zu quantifizieren, aber vielleicht kann man die Stimmung zum bevorstehenden Verfassungsreferendum als Behelfsmaßstab nehmen: Würden die Menschen in der Türkei eins zu eins glauben, was ihnen die zunehmend gleichgeschalteten Medien täglich auftischen, dann dürfte es kaum noch Nein-Sager geben. Tatsächlich sind die laut einer Umfrage von Januar aber leicht in der Mehrheit. Offensichtlich machen sich die Menschen also trotz aller Zensur immer noch einen eigenen Reim auf die Vorgänge im Land.

Täuscht der aktuelle Eindruck, dass für die Informationsfreiheit nicht nur in der Türkei mehr denn je gekämpft werden muss? Die Attacken von US-Präsident Donald Trump auf Teile der Medien gleichen in der Heftigkeit den Attacken von Erdogan.

Trumps rhetorische Attacken auf die Medien gleichen auch denen lateinamerikanischer Linkspopulisten oder der nationalkonservativen Regierungen in Ungarn und Polen. Im Grunde bestätigt das nur unsere alte Beobachtung, dass unabhängige Medien immer zu den ersten Zielscheiben von Herrschern mit autoritären Neigungen gehören, weil sie deren Alleinvertretungsanspruch auf die Wahrheit infrage stellen. Dass wir uns mit solchen Angriffen jetzt auch in etablierten Demokratien wie den USA auseinandersetzen müssen, zeigt vor allem, dass die Pressefreiheit immer wieder aufs Neue erkämpft und verteidigt werden muss.

Die USA halten in der ROG-Rangliste der Pressefreiheit Platz 41. Erwarten Sie ein Abrutschen?

Die kommende Ausgabe unserer Rangliste der Pressefreiheit wird das Jahr 2016 abbilden – also einen Zeitraum, in dem Trump noch gar nicht im Amt war. Dennoch hat schon der Wahlkampf in den USA so viele Tiefschläge gegen die Pressefreiheit produziert, dass es nicht überraschen würde, wenn die USA ihre ohnehin mäßige Platzierung weiter verschlechtern.

Gibt es gegen die Aktivitäten der Fake Newser und Post-Faktiker erfolgreiche Gegenmittel? Was schlägt „Reporter ohne Grenzen“ vor?

Diese Diskussion beobachten wir zurzeit in vielen Ländern. In Kolumbien zum Beispiel gab es eine ganze Kampagne gegen das Referendum über das Friedensabkommen, die auf falschen Behauptungen und Lügen basierte. Was mich besorgt, sind allzu schnelle Vorschläge, etwas zu löschen oder zu verbieten. Damit würde man sich letztlich mit Regimen wie denen in Russland oder China gemein machen, die solche Debatten nur zu gerne als Steilvorlage für ihre eigenen Eingriffe in die Berichterstattung nehmen. Was wir brauchen, ist mit Sicherheit nicht mehr staatliche Kontrolle, sondern mehr Journalismus und mehr Medienkompetenz – auch wenn das mühsamer ist und keine schnellen Lösungen verspricht.

Das Interview führte Joachim Huber.

Christian Mihr ist Geschäftsführer der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ in Berlin (www.reporter-ohne-grenzen.de).

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