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bismarck schreiben

© Tagesspiegel.de

Werbung für Rechtspostille: Ein Fürst sieht rot

Post vom deutschen Hochadel: Viele Menschen hierzulande sind dieser Tage bestimmt entzückt, dass ein Fürst, der auch noch von Bismarck heißt, sich dazu herablässt, ihnen persönlich einen Brief zu schreiben. Wie nett, mag so mach einer denken. Doch was den Blaublütler tatsächlich umtreibt, wird erst am Ende des Schreibens überdeutlich.

Ein Gespenst geht um in Deutschlands Briefkästen, das Gespenst von Bismarck. Otto von Bismarck? Nein - schlimmer: Ferdinand Fürst von Bismarck. Auf ockerbraunem Briefpapier flattert er in ahnungslose Haushalte "aus ernster Sorge um Deutschland." Um gegen den "gefährlichen Linkstrend in unserem Lande" zu warnen!

"Für einen Moment lang glaubten viele Deutsche, daß nach der braunen Diktatur nun auch die rote Diktatur endgültig im Orkus der Geschichte verschwunden wäre. Nie wieder Gewaltherrschaft und Extremismus." So weit so gut, aber es geht leider noch weiter: "Doch plötzlich erheben die Kommunisten wieder ihr Haupt! (…) Mehr als 18 Jahre nach dem Mauerfall erzielt die SED-Nachfolgepartei" - damit soll wohl die Partei Die Linke gemeint sein, der Fürst bedient sich hier munter wie selbstverständlich der Terminologie konservativer und rechtskonservativer Medien und Politiker - "in ganz Deutschland Wahlergebnisse, von denen Honecker & Co. niemals auch nur zu träumen gewagt hätten!" Haben sie ganz sicher nicht, denn in der Parteidiktatur der ehemaligen DDR stand schon vor der Wahl fest, dass die SED mit 99-prozentiger Sicherheit an der Macht bleibt. Dazu griffen die Genossen bekanntlich auch gerne beherzt zum Mittel der Wahlfälschung. Es gab weder freie noch geheime Wahlen und schon gar keine demokratischen in der DDR. In Westdeutschland anzutreten, hätten sie sich ohnehin nicht getraut. Von fehlender demokratischer Qualifikation ganz zu schweigen.

Aber Beck ist doch schon weg

Und es kommt noch schlimmer: "Im Sturm zieht die SED/PDS/Linke in die Landtage in Bremen, Hessen, Niedersachsen und Hamburg ein." Nein, so was! Man mag es kaum glauben, aber das ist völlig legitim, weil freiheitlich demokratisch gewählt. So ist das nun mal in unserem schönen deutschen Staate. Besser wird es nimmer: "Offenbar gibt es kein Halten mehr! SPD-Beck knickt ein und öffnet die traditionsreiche Sozialdemokratie immer weiter nach linksaußen." Ach was? Ist Kurt Beck nicht eher in punkto Agenda 2010 eingeknickt und hat bei vielen Bürgern einen Anflug von Erleichterung ausgelöst? Bürgern, die sich schon seit langem erstaunt die Augen reiben und sich fragen: Wo ist die einstige Arbeiter- und Volkspartei eigentlich hin?

Und überhaupt stammt der fürstliche Brief vom 15. September, also gut eine Woche nachdem Kurt Beck im Zuge seines gerne als Schmach vom Schwielowsee titulierten Rücktritts, das Amt als SPD-Vorsitzender niederlegte. Und er längst wieder zu seinem alleinigen Dasein als Ministerpräsident und Landeschef in sein heiß geliebtes, heimeliges Rheinland-Pfalz zurückgekehrt war.

Den armen Schülern muss geholfen werden

Dann wird es emotional: "Es erfüllt mich mit wachsendem Zorn, wenn ich die mangelhafte politische Information weiter Teile unserer Jugend sehe. Die PISA-Katastrophe betrifft nicht nur Mathematik und Naturwissenschaft. Vielleicht noch schlimmer ist das PISA-Elend in Politik und Geschichte." Und dann hackt der Fürst erzürnt auf die Schüler ein, die laut einer Umfrage der FU Berlin nur äußerst geringe Kenntnisse hinsichtlich der DDR aufweisen. Dafür werden sie in der Schule, durch Organisationen und Initiativen, zum Glück über die Diktatur durch den Nationalsozialismus im Dritten Reich und die Gefahren des Rechtsextremismus aufgeklärt. Denn was will Ferdinand von Bismarck seinen ahnungslosen Mitmenschen mit dem Schreiben eigentlich mitteilen? Das sie doch bitteschön ein Probeabo der Rechtspostille "Junge Freiheit" bestellen sollen. Und zwar flott! Nichts als abstruse schnöde Werbung verbirgt sich hinter dem fürstlichen Geschreibsel, das angeblich aus ernster Sorge um Deutschland entstanden ist. Von wegen! Wohl eher aus Sorge um die Finanzen des ultrarechten Wochenblatts.

Der Urenkel des Reichskanzlers macht tatsächlich Reklame für ein Blatt, das fleißig in der Grauzone von Konservatismus und Rechtsradikalismus subtil nach politisch verunsicherten Geistern fischt, um sie in den braunen Sumpf zu locken. Ein Blatt, das Interviews mit Politikern und prominenten jeglicher Couleur an Land zieht, weil diese oftmals gar nicht wissen, wer oder was die "Junge Freiheit" eigentlich ist und sich aus Scham vor vermeintlicher Bildungslücken-Entlarvung nicht trauen zu fragen. Wer braucht da wohl dringend Nachhilfeunterricht?

Stickiger Zeitgeist?

Der Fürst weiß aber genau, worum es geht, denn schließlich finanziert sich die Zeitung zum Großteil über Abonnenten, zu denen er sich ebenfalls voller Stolz seit über einem Jahrzehnt zählt: "Hier lese ich Woche für Woche aufschlußreiche Artikel und treffende Analysen über die politische Lage - aktuell besonders über den Linksruck in Deutschland." Er sei ein "guter Freund dieser Zeitung und ihrer engagierten Redaktion." So kommt man also zu einem derart wunderlichen Scheuklappen-Weltbild. Man hätte es ahnen können. Denn der Fürst "möchte helfen, daß möglichst viele Deutsche, die sich Sorgen um die Zukunft ihres Landes machen, denen ihr Land lieb ist, die 'Junge Freiheit' als freie Stimme für Deutschland kennenlernen." Eine Zeitung, die sich nicht "durch das politisch korrekte Kartell der Linksmedien beirren läßt." Sprich, alle Medien sollten wohl so sein oder wie ist das zu verstehen? So viel also zur Haltung des von Bismarck zum Thema Pressefreiheit und Medienvielfalt. Und noch schlimmer: "Deutschland braucht diese frische Brise gegen den stickigen linken Zeitgeist." Ach wirklich? Nein, ganz sicher nicht. Deutschland braucht in diesem Fall wohl eher eine frische Brise gegen den stickigen Zeitgeist der ewig Gestrigen, die immer noch am rechten Rand spazieren gehen.

Und das dicke Ende kommt ja bekanntlich wie immer zum Schluss, hier fettgedruckt und unterstrichen: "PS: Bitte antworten Sie möglichst noch heute. Der Linksruck in Deutschland verlangt jetzt von allen Patrioten den Einsatz für unser deutsches Vaterland." Mmmh. Gibt es da nicht viel wichtigere und dringlichere Probleme hierzulande und weltweit? Ganz sicher. Zum Beispiel der Umweltschutz - also umgehend das blaublütige Schreiben in der Altpapiertonne entsorgt.

PS: Der CDU-Politiker Peter Krause musste von einem Einsatz als Kultusminister in Thüringen Abstand nehmen, weil er als Redakteur für die "Junge Freiheit" arbeitete. Ferdinand Fürst von Bismarck ist nach eigenen Angaben seit 30 Jahren CDU-Mitglied. Komisch, was ist bloß in dieser Partei los?

Irja Most

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