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US-Schauspielerin Diane Keaton und der deutsche Komiker Ralf Schmitz albern in der ZDF-Show "Wetten, dass...?" in Erfurt herum.

© dpa

Update

Wetten, dass…?: Der biedere Herr Lanz

Die drittletzte Show von Markus Lanz war missraten, zeigt aber vor allem, dass sie auch mit einem anderen Moderator keine Chance mehr hätte. Die Zuschauerzahl fiel mit 5,48 Millionen auf einen historischen Tiefpunkt. Ein Kommentar.

Bescheidenheit war noch nie eine Zier des Samstagabends. Wer sich auf diesem Sendeplatz an den Rand der ganz großen Fernsehbühne wagt, einige Tausend angeheizte Hallenbesucher vor der Nase und Millionen hyperkritische Zuschauer am Flatscreen, dem suppt das Selbstbewusstsein besser aus Ohren, Mund und Nase, um dort zu bestehen. Gut, Markus Lanz hat es Ohren, Mund und Nase eher so verstopft, dass daraus 16 Samstage lang überwiegend verkrampfte Übersprungshandlungen hervorquollen. Jetzt aber, beim drittletzten Weg zum ZDF-Sofa, bohrte er ein armlehnendickes Brett. „Ich moderiere die nächste Sendung in Steirischer Tracht“, setzte er bei der Erfurter Stadtwette ein und sagte auch, was ihn zum Wahnsinnsdeal motiviert hat: „Eine Hommage an Blacky Fuchsberger.“

Der größte Irrtum des deutschen Showfernsehens seit Harry Wijnvoord misst sich also zum Abschied noch mal an deren frisch verstorbener Legende, die seinerzeit eine verlorene Wette mit einem Abend „Auf los geht’s los“ im Nachthemd sühnte. Das kann man nun wahlweise als Demutsgeste oder Größenwahn werten. Eines aber war die Ankündigung garantiert nicht: Der Auftakt zu einer gelungenen Ausgabe „Wetten, dass…?“. Dafür fehlt ihm auch auf der Abschlusstour das meiste, was TV-Conferenciers von Blackys Format ausmacht: Charisma, Schlagfertigkeit, Charme, Hingabe, Humor, Handwerk, Wärme. Alles Eigenschaften, die Lanz durch Stirnrunzeln, Superlative, Lobhudelei und dieses irre Lachen über die Witze seiner Gäste, mehr aber noch der eigenen kompensiert.

Markus Lanz schleimt sich beim Publikum ein

Darüber wurde in kaum zwei Jahren Gottschalknachfolge so erschöpfend debattiert, dass noch ein Verriss mehr die Langeweile der verrissenen Sendung übertreffen würde, was sogar noch elender wäre als die Sendung selbst, aber gut: Wie Lanz sich beim Saalpublikum einschleimt („in den letzten 25 Jahren noch ein wenig schöner geworden“). Wie er Sönke Wortmanns neuen Film mit „Elternabend, ein Riesenthema“ kommentiert. Wie er von Benedikt „Fußballweltmeister“ Höwedes auch Monate nach dem Finale nur Finalgefühle abfragt, von der kleinwüchsigen Christine „Alberich“ Urspruch nichts als Aspekte des Kleinwuchses und von der schwangeren Megan „Blockbusterqueen“ Fox ausschließlich, wie es denn so sei, schwanger zu sein. Wie er ansonsten alles großartig und Wahnsinn und toll und Bryan Adams auch beim sechsten Gastspiel mit unverändertem Bluesrockgeschrubbe echt dufte findet.

Jahrzehntelang wollten die Zuschauer von 8 bis 88 mit Kinderwetten, Hunde- und Bastelwetten zu Bett gebracht werden

All dies ist fürchterlich, grausam, lausig und lahm. Aber es ist eben auch einfach nicht recht die Schuld von Markus Lanz. Schuld ist vor allem das Wesen zeitgenössischen Fernsehentertainments. Es degradiert stets bemühte Unterhaltungsverwalter wie ihn zu unbeliebten Strebern im Lichtschatten aufregender Klassenkasper. Zum Beispiel respektlose Rüpel wie Jan Böhmermann, der mit Lanz womöglich den Maßschneider teilt, ansonsten aber nicht mal die Erdatmosphäre, geschweige denn den Kulturkreis. So einer würde Tokio Hotel für ihre Achtzigerretropopsülze, die das künstlich gereifte Teenyquartett im LED-Feuerwerk absondert, mit diplomatischem Zynismus der Lächerlichkeit preisgeben. So einer würde die überhitzte Oberflächlichkeit moderner Mehrzweckhallenfeuerwerke durch nonchalante Ironie konterkarieren. So einer würde sich auch einem Wolfgang Joop nicht durch falsche Ehrfurcht, sondern kreatives Desinteresse nähern, und dessen Bussi-Gehabe einordnen, statt abfeiern.

Dummerweise würde Böhmermann exakt damit jedoch den schleichenden Untergang des Live-Lagerfeuers zum Sonntag insgesamt beschleunigen. Ein Markenprodukt, das die familiäre Wochenendgestaltung seit der „Rudi Carrell Show“ vor gut einem halben Jahrhundert mit seiner Mischung aus väterlicher Fürsorge und mütterlichem Mitgefühl zur bundesrepublikanischen Institution erhoben hat wie Stammtisch und Schützenfest. Jahrzehntelang wollten die Zuschauer von 8 bis 88 schließlich, bevor Stars wie Diane Keaton vorzeitig heimjetten, mit Kinderwetten, Hundewetten, Bastelwetten zu Bett gebracht werden. Heute fehlt zwischen Florians Volksschlagergaudi und Raabs Ballermannparty die Mitte. Und weder der biedere Herr L. noch der freche Balg B. können sie füllen. „Diese Sendung macht nicht richtig viel Sinn, aber Spaß macht es trotzdem“, sagt der scheidende Wettpate noch, als irgendwer in Erfurt Mausefallen erhört oder Getränkebüchsen zerquetscht hat. Als es bei den alten Samstagabendshows noch oft umgekehrt war, hat das junge „Wetten, dass…?“ einst den Großteil seiner gut drei Milliarden Zuschauer akquiriert. Jetzt ist „Wetten, dass…?“ keins von beiden, und selbst im Trio mit Joko & Klaas würde der lustige Jan sie gegen die Wand fahren. Dass Markus Lanz demnächst in Tracht moderiert, interessiert aber jetzt schon kaum noch jemanden.

Lesen Sie hier auch die Ereignisse des Abends in unserem Live-Blog nach.

Jan Freitag

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