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"Wetten, dass...?": Der Fluch der Karteikarte

Wir Fernsehkritiker, wir sind ja im Grunde völlig bescheuert: Seit Jahren schon sagen wir, dass „Wetten, dass...?“ am Ende sei, dass es Gottschalk nicht mehr könne, dass sich kein Mensch eine weitere Folge anschauen müsse – und dann schauen wir uns die nächste Folge wieder an, um danach erneut ins Jammern und Zetern zu fallen.

Ein Teufelskreis, der wohl nur aufhört, wenn es die Sendung irgendwann tatsächlich nicht mehr gibt. Aber sollte man darauf wirklich hoffen?

Jedenfalls dachte man bis Samstag, viertel nach acht, dass diese Ausgabe von „Wetten, dass..?“ anders werden muss. Besonders. Toller. Auf eine Art wichtig für die Zukunft des Fernsehens in Deutschland. Musste man ja irgendwie annehmen, nach allem, was passiert war seit dem Abend der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, als Thomas Gottschalk durch sein Eingreifen beim sogenannten Reich-Ranicki-Eklat daran erinnerte, dass er ja mal tatsächlich ein guter, witziger, schlagfertiger Moderator war. Die Frage lautete also: Hat sich Gottschalk auch daran erinnert? Und könnte er seine Fähigkeiten vielleicht sogar noch einmal abrufen? Kann der Mann es schaffen, uns Kritikern den Glauben an die intelligente Fernsehunterhaltung zurückzugeben?

Die Voraussetzungen waren am Samstagabend durchaus gegeben: Ein Haufen durchgeknallter Typen (obwohl Boris Becker dann doch nicht kam), die sich entweder mit dem Fuß gegen die Stirn traten (Wettkandidat), Radiergummis in den Mund schossen (Wettkandidat) oder einfach nur furchtbar bescheuert angezogen waren (Gottschalk). Dazu verblüffend erträgliche Musikauftritte (Alicia Keys) – aber vor allem: gut gelaunte internationale Stars, allen voran Uma Thurman, die sich wohl dazu entschlossen hatte, sich komplett auf die Show einzulassen. Was übrigens bei Stars dieser Liga immer funktioniert, das letzte Mal, als Will Smith zu Gast war. Dann nämlich passiert bei „Wetten, dass..?“ einer dieser raren anarchistischen Momente, die dem Fernsehen doch so gut tun, und die im Prinzip doch die große Stärke des Mediums sind: das Chaos, das Unvorhergesehene, die Überraschung. Wenn Gottschalk in diesen Momenten nicht mehr an den Ablauf denken und endlich mal seine Karteikarten wegschmeißen würde – dann hätte daraus große Unterhaltung entstehen können. Warum Gottschalk allerdings dann nicht auf sein größtes Talent – die Improvisation – zurückgreift (und wofür er schließlich beim Fernsehpreis das Lob bekam), das bleibt ein Rätsel. Rätselhaft bleibt auch, warum Anke Engelke nicht das Unterhaltungsniveau erreichen konnte, dass sogar Jamie Oliver in die Sendung brachte. Der Gast Günther Jauch spielte immerhin seine Rolle als spießiger Jugendfreund von Gottschalk solide weg.

Solide. Das ist so ungefähr das Lob, das man der Sendung ausstellen kann. Vom Quotenglück wurde „Wetten, dass..?“ übrigens verlassen. Erstmals verfolgten weniger als zehn Millionen Zuschauer eine reguläre Ausgabe. Dabei muss man in einer Fernsehlandschaft, die so etwas wie „Peng! Die Western-Show“ tatsächlich ausstrahlt, fast schon dankbar sein für diese Gottschalk-Show. Denn eine Sache lernt man als Fernsehkritiker dann doch mit den Jahren: Es könnte alles noch viel, viel schlimmer sein. Matthias Kalle

Mehr Fotos unter www.tagesspiegel.de

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