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Massenmedien: Wie ist das Fernsehen?

Es ist das Massenmedium. Immer noch. Gerade zu Weihnachten schalten viele ein. Das Programm aber wird austauschbar. Und die Zuschauer werden älter.

Mehr als zwei Drittel der Deutschen schalten den Fernseher täglich ein. Durchschnittlich läuft der Apparat dreieinhalb Stunden, bei Arbeitslosen sogar 5,28 Stunden. Und die Sehdauer wächst: Zwischen 20 und 22 Uhr schauen etwa 70 Prozent der erwachsenen Deutschen zu. Umstritten ist, ob das Fernsehen tatsächlich „Leitmedium“ ist, unumstritten aber ist es das Massenmedium. Mit Shows, Serien, Stars und Vorbildern prägt es Haltungen und Lebensstile – und beeinflusst Kultur, Moral und Politik. Etabliert hat sich das duale System, das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen Anstalten und privaten Sendern.

WIE STEHEN ARD UND ZDF DA?

Weltweit einzigartig ist die politisch beschlossene Finanzierung: Vom 1. Januar 2013 an braucht man nicht einmal mehr einen Fernseher, nur eine Wohnung, um ARD und ZDF bezahlen zu müssen. Jeder Haushalt entrichtet eine Abgabe von zunächst 17,98 Euro. Nur sozial Bedürftige, Obdachlose und Taubblinde können der Zwangsabgabe entgehen. Es werden wohl mehr als acht Milliarden Euro sein, die jährlich in das öffentlich-rechtliche System fließen. Das entspricht dem, was Länder und Gemeinden zusammen an Kultursubventionen zahlen. Die Mischfinanzierung mit Werbung und Sponsoring geht trotzdem weiter.

Eine Lehre aus der deutschen Geschichte lautete: Nie wieder Staatsrundfunk! Darum wurde die Medienverantwortung dezentralisiert und in die Hände der Gesellschaft gelegt. Das war der ursprüngliche Sinn des öffentlich-rechtlichen Systems. Der Zuschauer sollte als Bürger, nicht als Konsument angesprochen werden. „Staatsfern“ hat es laut höchstrichterlicher Rechtsprechung zu sein. Nur Spitzfindige aber können zwischen der Haushaltsabgabe und einer Steuer noch einen Unterschied erkennen. Eine Zeit lang hatten viele, oft konservative Politiker, die private Konkurrenz gefördert. Inzwischen haben sie lernen müssen, dass die Zuschauer keine Tendenzbetriebe wollen, sondern Unterhaltungsfabriken. Die weltweit einzigartig üppige Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien lässt sich nur mit „systemischen Gründen“ rechtfertigen: der Bedeutung für die Demokratie und ihren informativ-kulturellen Grundauftrag. Wir bezahlen aber für einen Dienst, den die Sender nur unzureichend erfüllen. Zwar ziehen sich ARD und ZDF davon nicht offiziell zurück, bieten Nachrichten an und politische Talk- wie Magazinsendungen. Aber jede überregionale Zeitung erfüllt den Anspruch an Qualität, Sorgfalt und Meinungsbildung inzwischen besser als die bunten „Vollprogramme“ dieser Sender. Dafür sichert die Haushaltsabgabe Bundesligafußball und Boxställe, Volksmusik und Rosamunde-Pilcher-Schmonzetten.

Regelmäßig kommen interne Papiere an die Öffentlichkeit, die beschreiben, wie Filme und Magazine noch süffiger, flüssiger, einfacher und massenattraktiver zu gestalten seien. Viele Shows und Serien sehen aus wie ein Seniorenabklatsch der privaten Programme. Anspruchsvolles wandert ab in Spartenprogramme oder späte Nachtstunden. Die TV-Ästhetik stagniert. Die Jugend haben sie weitgehend verloren. Dafür streben sie zusätzliche Kanäle an und eine unübersehbare Internetpräsenz.

WIE GEHT ES DEN PRIVATEN?

Fernsehen läuft wieder, die Werbekrise ist einigermaßen überwunden. Deutschlands größter Medienkonzern müsste sich bald so schreiben: BeRTLsmann, denn die europäische RTL-Group ist die Melkkuh des „global players“ aus Gütersloh. Dabei hat RTL in Deutschland ein Wunder vollbracht. Der Sender wird immer kleiner, sparsamer und weitet zugleich seine Marktführerschaft aus.

Auch die zweite deutsche Sendergruppe, Pro Sieben Sat 1, in Besitz des Finanzinvestors KKR Permira, dürfte das Tal durchschritten haben. Zwar bleibt die Gruppe hoch verschuldet, aber nach harter Sanierung wachsen Umsatz und Gewinn. Die Kurssteigerung der Aktie um 175 Prozent von 2007 bis 2010 ist im M-Dax Spitze, und die verbliebenen Mitarbeiter haben zum Jahresende sogar eine Prämie bekommen. Schwer tut sich dagegen der von Großaktionär Rupert Murdoch kontrollierte Bezahlsender Sky. Gewinne liegen in weiter Ferne. Als positive Signale kann der neue Deutschland-Chef Brian Sullivan allenfalls die leicht rückläufige Kündigungsrate und den höheren Umsatz pro Kunde nehmen.

WAS PRÄGT DAS PROGRAMM?

Die Inhalte der Privaten verändern sich. Pro Sieben Sat 1 hat seinen Nachrichtensender N 24 verkauft, während RTL sein Unterhaltungsprogramm noch mit Nachrichten um 18.45 Uhr und um Mitternacht ummantelt. Events wie das Casting eines „Supertalents“ mit Dieter Bohlen, das im Januar wieder beginnende „Dschungelcamp“ oder „Bauer sucht Frau“ gelten als Höhepunkte. Boulevardeske Magazine rund um die Uhr und zunehmend sogenanntes Help-TV mit Schuldnerberater und Super-Nanny strukturieren es, und als neues Element machen sich „scripted reality“-Formate breit. Das sind erfundene pseudo-dokumentarische Formen, in denen die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht untersucht, sondern in der Regel nur in Ressentiments gespiegelt wird. Hier hat sich RTL perfektioniert. Eigene Groß-Filme gibt es dagegen selten. Wo früher Talks, Gerichtsshows, deutsche Serien oder gar Sitcoms entworfen wurden, wo mit dem „Großen Deutschtest“ Zivilisierung erfolgte, mutiert RTL wieder stärker zur Freakshow.

Ein eindeutiges Image als Jugendsender mit Castingshows wie „Popstars“ und „Germany’s Next Top Model“, Mystery- Filmen und „Galileo“, US-Serien und viel Stefan Raab hat sich Pro 7 gegeben. Beim „Eurovision Song Contest“ mit Lena als erster deutscher Siegerin nach Jahrzehnten praktizierte Raab erstmals systemübergreifende Kooperation, die es in Zukunft häufiger geben wird. Günther Jauch wird der ARD in Zukunft als Polit-Talker sonntags die Quoten bescheren, die er ihr montags als Quizmaster wieder abnehmen wird. Schwerer mit einem klaren Image tut sich Sat 1. Es hat Verbesserungen und wieder einmal eine ansehbare deutsche Serie („Dani Lowinski“) gegeben, aber noch ist der weitgehend politikfreie Sender nicht so programmprägend.

WORIN UNTERSCHEIDEN SICH DIE ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN VON DEN PRIVATEN?

In der Breite und Substanz des Programmes gibt es eine große Annäherung. „Brisant“ und „Leute heute“, „Volle Kanne“ und viele Shows und Serien könnten auch im Privatfernsehen laufen. Oft ist lediglich die öffentlich-rechtliche Machart etwas betulicher und weniger schreiend. „Stromberg“ und „Pastewka“, „Schlag den Raab“ und „Ladykracher“ wären öffentlich-rechtlich nicht möglich. Ein Unterschied besteht noch im Anteil von Politik und Nachrichten am Programm. Auch wenn die Politik zunehmend den Regeln des Entertainments unterworfen wird, ist sie in ARD und ZDF stärker vertreten.

GIBT ES NEUE SEHGEWOHNHEITEN?

Ein „Lagerfeuer“ oder ein „Altar“ soll das Fernsehen einst gewesen sein. Dem Philosophen Günter Anders wird die Aussage zugeschrieben, das Fernsehen mache aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis. Das hat sich verändert. Der Konsum ist individueller geworden, seltener gibt es große, Gemeinsamkeit stiftende Gesprächsthemen. Die Zuschauer werden älter. Fernsehen ist auf dem Weg zum Nebenbei-Medium. Immer kürzer wird die Verweildauer: rastloses Zappen, schnelle Schnitte, permanente Reize sind die Folge. Besonders jüngere Zuschauer nutzen es seltener, um sich zu informieren. Noch wird Fernsehen in Echtzeit geguckt, erst allmählich zeitversetzt im Netz.

GIBT DAS FERNSEHEN SEINE „LEITFUNKTION“ AN NEUE MEDIEN AB?

Für die Informationsavantgarde ist das längst geschehen; ansonsten ist das tradierte „Wohnzimmer“-Medium äußerst zählebig. Aber für die Werbeindustrie wird das Internet zunehmend interessant. Hier ist Werbung zielgenauer und allmählich wird auch die TV-Reichweite eingeholt. Dafür sind Youtube und Facebook mit 500 Millionen Nutzern weltweit besonders geeignet. Coca-Cola, Starbucks und die Oreo-Kekse haben zwischen zehn und 25 Millionen Fans. Wie bei jeder Medienrevolution entsteht hier eine Neudefinition von privat und öffentlich. In Deutschland entsteht sie weitgehend außerhalb der traditionellen Sender. Auch für die Politik spielt diese neue Öffentlichkeit noch keine tragende Rolle. Über was und wie Günther Jauch am Sonntag im Ersten talken wird, prägt die Republik zurzeit noch stärker als alle Politiker-Twitter zusammen.

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