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Medien: Wind und Würde

Fantastisches Kino: Die Totenmesse für den Papst auf dem Petersplatz

Das Wetter fügte der Zeremonie einen dramatischen Akzent hinzu. Der Himmel war grau, ein starker Wind blähte die Soutanen und die Fahnen, und von Zeit zu Zeit, wenn die kirchlichen Würdenträger am Mikrofon ihre Gebete unterbrachen, glaubte man es über dem Petersdom donnern zu hören. Fürwahr eine würdige akustische Begleitung dieser Messe für den verstorbenen Papst, zu der sich über 200 000 Gläubige auf dem Petersplatz versammelt hatten, darunter die meisten katholischen Kardinäle und Bischöfe aus der christlichen Welt, viele Staatenlenker und gekrönte Häupter aus der profanen Welt, auch Oberhäupter nichtchristlicher Religionen und eine Riesenzahl ergriffener Pilger, sehr viele von ihnen aus Polen. Mehr als zwei Millionen weiterer Gläubiger waren in die ewige Stadt geströmt; alle, alle waren sie gekommen, um Johannes Paul II. zu geleiten: zu Gott.

Die Kameras des italienischen Senders RAI, die die „Weltbilder“ lieferten, hatten alles, was sie brauchten, um großes Fernsehen zu inszenieren: die herrliche Kulisse des Doms mit Ausblicken auf das Areal rund um den Vatikan, die Kraft der Liturgie in ihrer Strenge und Schönheit mit glänzenden Gewändern und erhebenden Gesängen – und Politprominenz aus den verschiedenen und teilweise verfeindeten Weltgegenden, die hier nun ihren Hader vergessen mussten, um fromm beieinander zu sitzen. Scheu und doch zielbewusst nahmen die Kameras mal Bush, mal Chirac, mal Blair, mal Walesa ins Visier. Wie uns die Kommentatoren erklärten, waren auch Staatsoberhäupter aus dem Orient (Iran, Syrien) zugegen, denen der Präsident der Vereinigten Staaten eigentlich nicht hätte begegnen wollen, und mit denen er nun doch in Andacht vereint war. Und das alles ohne Bodyguards – Waffen waren verboten auf dem Petersplatz. Über seinen Tod hinaus also setzte der Friedenspapst seine Arbeit der communio, der Vereinigung, fort.

Fernsehen hat bei der Übertragung von Großveranstaltungen dieser Art über die Jahre immer mehr optisches Reizpotenzial entwickelt und ausgeschöpft. Auch hier sah man wieder, dass es „die Totale“ längst nicht mehr gibt, dass eine äußerst alerte Bildregie aus einem Ritus wie der Verabschiedung des Papstes fantastisches Kino machen kann: Der Blick auf den Petersplatz von oben wechselte mit Schnitt auf Kardinal Ratzingers ernste Miene, während er durch die Liturgie führte, dann ein Schwenk auf die singenden Chorknaben und ein kurzer Blick auf den Staatenlenkerblock – hier erkannte man Kanzler Schröder, dessen Zwischenbrauenfalte tief war wie nie. Und schon richtet das Objektiv sich auf die namenlosen Gläubigen, die Transparente hochhalten mit der Aufschrift: „Santo subito“, was so viel heißt wie: Sofort soll er unter die Heiligen aufgenommen werden, unser Papst. Ein großes Abschiedsfest, vom Fernsehen multiperspektivisch eingeholt und ausgestrahlt für Milliarden von Zuschauern im ganzen Erdkreis.

Die deutschen Fernsehsender gaben sich Mühe, das Geschehen durch diskrete Kommentare dem Publikum in den deutschen Wohnstuben nahe zu bringen. Dabei konkurrierte das Bedürfnis, die Weihe des Ortes und die mystische Einheit von Klerus, weltlicher Herrschaft und Volk nicht durch Besserwisserei zu stören, mit der Aufgabe des Mediums, seinem Publikum zu erläutern, was da los ist. ARD und ZDF setzten ein wenig mehr auf die Weihe und begnügten sich über weite Strecken damit, die lateinischen oder italienischen Ansprachen, Fürbitten und liturgischen Texte durch sanfte Off-Stimmen ins Deutsche zu übersetzen. Bei RTL und Sat 1 ließ man sich durch Ehrfurcht nicht davon abhalten, per Splitscreen neben dem Ritus immer wieder auch die Köpfe der trauernden Menge zu zeigen und in Gesprächen mit Experten Kommentare anzubringen. Auf Sat 1 stand Bruder Paulus bereit, um etwas zu dem Beifall zu sagen, der immer wieder aufbrandete, der ja eigentlich nicht in den Gottesdienst gehört, den Johannes Paul II. aber zugelassen habe.

Auf RTL informierte Priester Dietmar Heeg über die Ursprünge der Marienverehrung des Papstes, man erörterte auch das Lateinische als Sprache des Klerus, die weltweit gepflegt und verstanden würde. Nur als im Vatikan ein Helikopterlandeplatz eingerichtet wurde, da wusste man nicht, wie man das in die Sprache der Kirchenväter übersetzen sollte. RTL hat auch seinen Vor-Ort-Reporter, der auf einer hoch gelegenen Terrasse über die Stadt blickte, immer mal wieder eingeblendet und ihm die üblichen Fragen gestellt: Wie die Stimmung in der Stadt sei? Ach, die Straßen waren leer, es gab kein Stadtleben, es gab nur diese Totenfeier und vorbeiziehende Gläubige, die es nicht geschafft hatten, dabei zu sein und sich nun so nahe wie möglich herandrängten an den Ort mit der Weihe. Dann kam auch schon wieder die zentrale Reliquie ins Bild: der Sarg, sehr schlicht, ein Kasten aus Zypressenholz, darauf eine Bibel, in der der Wind blätterte.

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