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Das Publikum hat entschieden: Norbert Kempinski (links), IT-Leiter einer mittelständischen Firma, ist Deutschlands Klügster. Moderator Kai Pflaume freut sich mit. Foto: dpa

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Wissen macht Quote: Geist wird Zirkus

Bei der ARD-Show „Der klügste Deutsche“ gewinnt die Unterhaltung. Geboten wird die fernsehgerechte Form des gehobenen Kreuzworträtsels.

Von Caroline Fetscher

Surreal wirkt das Setting auf der Bühne. Rund ein Dutzend Statisten, Frauen und Männer, stehen stumm herum, sie halten Tafeln auf Brusthöhe. Darauf sind ihre Vornamen geschrieben, Johanna oder Olaf, und ihr Alter ist mit einer Ziffer angegeben. Entfernt erinnert das Bild an die Gegenüberstellungen von hinter Panzerglas platzierten Häftlingen mit Zeugen im Krimi. Jetzt liest eine Stimme aus dem Off einen beliebigen Text vor, zum Beispiel Wetternachrichten. Und dann sollen die Kandidaten, die sich um den Titel „Der klügste Deutsche“ bei der gleichnamigen ARD-Sendung beworben haben, erahnen oder erraten, zu welchem der Statisten welche Stimme gehört.

Damit werde Menschenkenntnis getestet, heißt es. Moderator Kai Pflaume und die Juroren im Saal, Judith Rakers, Matthias Opdenhövel und Frank Plasberg, sollten am Samstagabend vor 5,12 Millionenen „alle Parameter der Intelligenz abklopfen“. Dazu haben sich Teams von Tüftlern praktische, logische, analytische, mathematische, sprachliche und mnemotechnische Aufgaben und Fragen ausgedacht: Blitzrechnen vor einer Riesenleinwand, zerstückelte Wörter und fragmentierte Abbildungen zusammenfügen, vom Comic-Baum fallende Äpfel zählen, Supermarktpreise addieren, Memory-Kärtchen erinnern, einen Werktitel von Goethe oder Brecht ergänzen. Aufmunternd, gönnerisch oder kühl säuselnd forderten die Juroren die Kandidaten zum „Buzzern“ auf, zum Drücken des roten Signalsummers („Buzzer“), der anzeigt, wenn ein Wettbewerber meint, eine Antwort zu wissen.

Alle, auch Lehrer und gestandene Naturwissenschaftler, werden bei dieser Inszenierung im Ansatz infantilisiert, sie machen quasi Hausaufgaben unter Zeitdruck und in der Öffentlichkeit. Hundert aus 10 000 Bewerbern für das 2011 ins Leben gerufene Format blieben beim bundesweiten Casting 2012 erst einmal übrig, herausgefiltert wurde eine Gruppe von 18. Im Selektionsprozess über drei Shows mit dem Motto jeder gegen jeden reduzierte sich die Gruppenstärke um jeweils die Hälfte, bis nur noch zwei auf den „Finalsesseln“ saßen, die studierten Mathematiker Jochen Mocek und Norbert Kempinski. Letzteren kürte das Fernsehpublikum im Finale per Tele-Voting zum „klügsten Deutschen“, der 100 000 Euro Prämie erhält. Alle anderen mitwirkenden Kandidaten bekam das Fernsehen gratis.

Display, Performance, Pressure und am Ende ein Pseudo-Plebiszit: Dazu gehören Nerven. Und es war Aufgabe der Aufsichtspersonen – Jury und Pflaume – die Nervosität der Probanden anzustacheln, um den Nervenkitzel beim Publikum zu erhöhen. Pflaume, wechselnd zwischen dem Ton eines seriös-pompösen Croupiers und eines kumpelhaften Turnlehrers, fragte in eine der Runden hinein: „Habt ihr bisschen Puls? Okay! Zu Recht, zu Recht!“ Dem Kandidaten Mocek, der rasend rechnen und kombinieren kann, bot Plasberg seinen Cocktail aus Wohlwollen und Häme an: „Was mir gefällt an dir, Jochen, du bist wirklich aufgeregt zwischendurch, du hast richtig Druck!“ Dann wieder lobte die Jury Solidarität, etwa den Applaus eines Kandidaten für einen anderen, als „soziale Intelligenz“, worauf solcher Applaus seine Unschuld verlor, seinen Charme.

Das Leben als Kandidatur. Während dieser Parcours zur unfreiwilligen Satire auf die digitale Performance- und Konkurrenzgesellschaft wird, will doch der Sender so offensichtlich das Richtige. Deutlich wird das Bemühen, den Wettkampf-Shows, in denen Amateure singen, modeln, tanzen, Muskeln oder Tricks vorführen, wenigstens etwas Wasser abzugraben – am Samstagabend lief parallel auf RTL Dieter Bohlens „Supertalent“. In der öffentlich-rechtlichen, von Gebührenzahlern finanzierten Wettkampf-Show, soll eine andere Größe entscheiden: Geist statt Zirkus. Und tatsächlich würde sich jemand wie die fröhlich zuversichtliche Gabi Zucker, tätig in einer Gemeindeverwaltung und Liebling des Publikums, wohl kaum je in eine Bohlen-Sendung verirren.

Was aber durch eine solche ARD-Show als „Klugheit“ bezeichnet, welcher Begriff von Intelligenz hier, trotz eines akademischen Beisitzers und Kommentators, vermittelt wird, das bleibt hochgradig fragwürdig. Leicht entsteht der Eindruck, „Wissen“ sei so etwas wie Apps im Hirn abrufen können, einen Taschenrechner imitieren, ein Sammelsurium kontextloser Fakten auf der Festplatte im Schädel speichern. Mit einem Wort: Die gehobene Variante des Kreuzworträtsels. Dass Wissen und Wissenschaft genau das Gegenteil bedeuten, nämlich das Erkennen von Kontexten, bleibt bei deren Zertrümmerung im Spiel auf der Strecke.

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