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WM 2006: Boulevardpresse startet "Britskrieg"

Englands Massenblätter beginnen bereits Monate vor der Weltmeisterschaft, sich auf die "Krauts" einzuschießen. Die Blätter zeigen Oliver Kahn mit Stahlhelm - oder lassen den Geist von Hitler durch das englische WM-Quartier spuken.

München/London - In Englands Boulevardblättern feiern nationalistische Übersteigerungen Urstände mit dem Versuch, einen neuen «Fußball-Krieg» gegen den deutschen Gastgeber anzuheizen. Böse Erinnerungen an die Europameisterschaft 1996 auf der Insel werden wach, als Hurra-Patriotismus und anti-deutsche Kampagnen sogar das britische Unterhaus beschäftigten.

«Den Hitlergruß zu präsentieren, ist auch für Briten kein Gag», sagte kürzlich der britische Innenminister Charles Clarke. Seine Warnung wie auch der Aufruf von Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson, die Gastgeber bei der WM nicht zu beleidigen, ist auf taube Ohren gestoßen: Nationaltorwart Oliver Kahn erschien unlängst in einer Fotomontage mit Stahlhelm, ein Blatt wollte im WM-Logo der deutschen Polizei das Konterfei von Adolf Hitler erkannt haben.

Nach der Auslosung im vergangenen Dezember erklärte das Massenblatt «Sun» den Deutschen den «Britskrieg» (eine Ableitung von «Blitzkrieg») und klagte die WM-Macher an, sie würden die englischen Gäste auf der Tribüne mit Sicherheitsrobotern provozieren. Die mit Kameras und Sprengstoffsensoren ausgestatteten Maschinen erinnerte die auflagenstärkste Tageszeitung des Königreichs an Miniaturausgaben von «Rommels Panzern». Nichts könne englische Schlachtenbummler mehr auf die Palme bringen, zitierte «Sun» einen Fan, «damit haben die Deutschen ein mächtiges Eigentor geschossen.»

Dies alles wirkt auf Beobachter in London noch als Vorspiel einer Kampagne, die ihre größten Hitzegerade erst bei der WM erreichen wird. Wie bei der EM vor zehn Jahren, als sie den «Ausbruch des chauvinistischen, besonders anti-deutschen Unsinns» scharf verurteilten, setzen die seriösen Zeitungen alles daran, dass sich die englischen Fans anständig benehmen und nicht wieder ihrem Frust in anti-deutschen Ausfällen Luft machen.

Der liberale «Guardian» und der angesehene «Independent» lobten auf Sonderseiten die Organisation und den Service für die anreisenden Fans von der Insel. Der Londoner Spitzenclub FC Arsenal rief, im Zusammenwirken mit dem Goethe-Institut, ein Programm für Jugendliche ins Leben, bei dem diese neben Fußball auch Deutsch lernen können. Zudem bietet das Institut in London auch Deutschkurse für Fans an. Regelmäßige WM-Partys in einer Hauptstadt-Discothek sollen den Engländern mehr Einblick in die Sitten und Gebräuche der WM-Gastgeber vermitteln.

In England ist die Sorge groß, dass die Deutschen auf den bisweilen merkwürdigen britischen Humor und die dummen Sticheleien wieder hereinfallen und damit die Urheber noch mehr reizen. «Ich sehe es kommen und fürchte mich davor», schrieb Simon Barnes in der «Times»: «Massen von biergefüllten englischen Fans auf den Tribünen. Und dann geht es los: Stechschritt und Hitlergruß.» Einen Vorgeschmack lieferte der «Daily Star». Er berichtete exklusiv über den Geist von Hitler, der angeblich immer noch sein Unwesen im Hotel «Bühlerhöhe», Englands WM-Quartier nahe Baden-Baden, treibe.

Das Unverständnis der Deutschen für den britischen Naziulk ist für Autor Barnes «die größte kulturelle Kluft» zwischen den Ländern. Die seltsame Form des schwarzen Humors und selbst die dümmsten Witze seien Ursache dafür, dass die Briten gegen Diktatoren und Extremisten gefeit seien, meinte Barnes: «Es gibt etwas an Hitler, an den Nazis und an allen Formen von Diktaturen, das in britischen Augen ebenso komisch ist wie lüsterne Pfarrer, Bananenschalen, Schwiegermütter oder Schotten.» (Von Gerd Münster, dpa)

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