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YouTube: Löschen statt Lachen

Für Andrea Ypsilanti gibt es ein Entkommen aus der Youtube-Falle – auch ohne Staatsanwalt.

Selten hatte ein Scherz solche Folgen. Nicht nur, dass sich Zehntausende im Internet über den Dialog-Mitschnitt eines falschen Franz Müntefering mit einer echten Andrea Ypsilanti amüsieren. Auch dass der Spaß den Radiomoderator und Stimmenimitator Jochen Krause vom Hannoveraner Sender ffn vor Gericht führen wird, ist nach Meinung des Berliner Medienrechtlers Christian Schertz unausweichlich. „Der Mitschnitt des Telefonats stellt bereits eine Straftat dar“, sagt Schertz. Das derzeit laufende Ermittlungsverfahren werde dazu führen, dass die Verantwortlichen angeklagt und wohl auch verurteilt werden. „Die Strafnorm ist vom Wortlaut her eindeutig, der Sachverhalt wohl auch.“

Es geht um Paragraf 201 des Strafgesetzbuchs, der bisher selten und in Sachen Parodie und Satire noch nie zum Einsatz gekommen ist. Er bedroht nicht nur Krause und mögliche „Mittäter“ bei ffn mit Geld oder Haftstrafe bis zu drei Jahren, sondern theoretisch auch jeden, der die Tondatei im Internet verbreitet. Die bei vielen Sendern beliebte Radio-Comedy, bei der Angerufene genarrt werden, steht damit juristisch auf der Kippe. Hans-Dieter Hillmoth, Geschäftsführer des hessischen Senders FFH und Mitglied des Privatsenderverbandes VPRT, sorgt sich bereits, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen das Format der Radioscherze unmöglich machen könnten. Bislang blieben Tondokumente solcher Anrufe in einer rechtlichen Grauzone nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Mit Hessens SPD-Chefin hat sich allerdings eine Klägerin gefunden – sie stellte den Strafantrag, der nötig ist, um die Ermittlungen erst auszulösen.

Damit bleibt das für beide Dialogpartner mäßig peinliche und auch nur mäßig komische Gespräch in aller Munde. Ypsilanti geht es ums Prinzip, wie ihr Sprecher Frank Steibli sagt: „Wer bestehende Regeln bricht und auf Milde hofft, ist naiv oder frech“, sagt er an die Adresse von ffn. Nicht den Mitschnitt mache Ypsilanti ihm zum Vorwurf, sondern dass die Datei trotz Veto der Politikerin ins Netz gelangen konnte. Freilich streitet der Sender ab, dafür verantwortlich zu sein.

Nur: Ist das Strafrecht das geeignete Instrument, um das Scherzniveau deutscher Sender zu regulieren? „Das ist kein Fall für den Staatsanwalt“, empört sich der Hannoveraner Rechtsanwalt Götz- Werner von Fromberg, der jetzt den Sender vertritt. Fromberg, Kanzleikollege und Duzfreund des früheren SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder, sieht den in der Region „ganz bekannten Comedian Krause“ in einer einst von Karl Dall begründeten Scherztradition. „Dieser Fall wird zu hoch gehängt“, meint er.

Ihm pflichtet Deutschlands wohl führende Anwältin für Fragen des Satirerechts bei, Gabriele Rittig vom Frankfurter „Titanic“-Magazin. „Wie im Presserecht sollte auch hier eine Abwägung vorgenommen werden: War der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Ypsilantis möglicherweise gerechtfertigt? Sie hat ja nichts Ehrenrühriges gesagt. Außerdem gibt es ein erhebliches öffentliches Interesse am Umgang der SPD mit der Linkspartei und Ypsilantis Strategien in Hessen. Meine Meinung ist: Frau Ypsilanti muss das wohl hinnehmen“, sagt sie und fordert „Freispruch für den Sender“. Es habe sich zudem bestätigt, dass die SPD eine vollkommen humorfreie Partei sei.

Für die „Titanic“ sieht die Juristin keine Probleme, vergleichbare Gag-Anrufe durch Redakteure seien selten geworden – außerdem, betont sie, gab es nur schriftliche Protokolle, die dann abgedruckt wurden, keine Mitschnitte. Allerdings sieht Rittig auch keinen Kulturverlust, sollte solche Comedy verschwinden. Gag-Anrufe seien ein „ausgelutschtes Sujet. Die Sender sollten sich mal was Neues einfallen lassen“, sagt sie.

Während sich die Hannoveraner Staatsanwaltschaft nun um die IP-Adressen jener Spaßvögel bemüht, die das Dokument auf Youtube vertrieben haben, wird es dort und in anderen Foren munter weiter dupliziert. Wer das Suchwort „Ypsilanti“ eingibt, wird freundlich darauf hingewiesen, dass es unter dem Begriffspaar „Ypsilanti Müntefering“ interessante Treffer geben könnte. Insgesamt 73 Fundstellen wurden am Mittwochmittag ausgegeben. Bei der Mehrzahl handelt es sich tatsächlich um Kopien der ffn-Aufzeichnung, jeden Tag kommen neue hinzu.

Dagegen ist durchaus ein Kraut gewachsen. „Wir können Andrea Ypsilanti auf einfache Weise helfen, vor allem bei einer so eindeutigen Rechtslage“, sagt Stefanie Peters, Deutschland-Chefin des vor gut zwei Jahren gestarteten US-Unternehmens ReputationDefender. Deren Geschäft fußt auf dem guten Ruf der Kunden, denn der wird zunehmend durch das geprägt, was im Internet steht.

Um zu erfahren, was das Netz über einen weiß, schließen die Kunden von ReputationDefender für sich, ihre Kinder oder ihr Unternehmen ein Abonnement ab. Privatpersonen werden dann einmal monatlich darüber unterrichtet, was über sie im Internet zu lesen, zu hören oder auf Seiten wie Youtube zu sehen ist. Unternehmen werden bei Bedarf auch ad hoc informiert. Meint der Kunde, dass eine Fundstelle ihn im falschen Licht darstellt, erteilt er ReputationDefender einen Löschauftrag. Hätte sich Andrea Ypsilanti also anders verhalten sollen? „Das ist sicherlich eine Stilfrage“, hält sich Peters zurück. Fest steht aber: Mit den Löschaufträgen wendet sich ReputationDefender direkt an die zuständigen Mitarbeiter beim Webseitenbetreiber.

„Unser wichtigstes Geschäftskapital ist unsere Datenbank mit den Kontakten zu den Seitenbetreibern“, sagt Peters und gebraucht dabei Begriffe wie Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen. Statt mit Anwälten oder Hackerattacken zu drohen, werden elegante Lösungen im Hintergrund gesucht. Der Preis dafür: Die privaten Monatsabos fangen bei rund zehn Euro an, je Löschauftrag werden rund 30 Euro fällig. Selbst bei besonders hartnäckigen Fällen, wenn beispielsweise wegen der Meinungs- und der Pressefreiheit ein Eintrag nicht zu löschen ist, gibt es Lösungen, mit denen das Suchmaschinenranking so lange bearbeitet wird, bis die negativen Einträge möglichst weit unten landen. Für Firmen oder große Institutionen gelten allerdings andere Tarife. „Je nach Intensität kosten die Special Services auch schon mal zwischen 5000 und 25 0 000 Euro monatlich.“

Seit Anfang 2008 bietet die Firma, die rund 60 Mitarbeiter vorwiegend am Stammsitz in San Francisco beschäftigt, ihre Dienste auch direkt in Deutschland an. „Nur fünf Prozent der erteilten Löschaufträge mussten wir bislang zurückweisen, weil sie nur juristisch von einem Anwalt durchzusetzen sind“, erklärt Peters. Die deutschen Aufträge selbst werden von den USA aus erledigt, von Mitarbeitern mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen, wie Stefanie Peters versichert. „Von Frau Ypsilanti haben wird allerdings bislang keinen Auftrag erhalten“, sagt sie und lacht.

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