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In Netzen bewegt es sich nicht immer leicht. Das gilt für Wähler und Parteien gleichermaßen.

© Serra Akcan/NarPhotos/laif

Online-Wahlkampf in Berlin: Zappeln im Netz

Zur Wahl experimentieren die Berliner Parteien mit den Möglichkeiten des Internets. Doch wie ernst ist es ihnen mit den Themen Partizipation und Interaktion?

Was so ein Eintrag auf einer Webseite alles auslöst! „Ich bin sprachlos“, sagt Christian Heistermann und schaut erstaunt auf die Menschenansammlung vor dem Häuschen seiner Familie in Mahlsdorf am östlichen Rand Berlins. Von hier betreibt der junge Vater von drei Kindern eine Firma für Gebäudereinigung. Vor der Terrasse schart sich eine Gruppe von Journalisten und Fotografen, ein Fernsehteam ist dabei, der lokale Grünen-Kandidat Christoph Huhn steht erwartungsvoll neben dem mit Keksen und Getränken hergerichteten Gartentisch – und dann eilt auch noch Renate Künast mit schnellem Schritt heran.

Und das alles nur, weil Wechselwähler Heistermann sich im Internet angucken wollte, wer bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September für ihn in Frage kommt. Als er auf der Webseite der Grünen landet, entdeckt er ein Feld mit dem Hinweis „Hier geht’s zur Mitsprachestadt“, darauf ein Stadtplan mit zahlreichen Stickern mit dem Aufdruck „Da müssen wir ran!“ Hier sammeln die Grünen Meldungen von Bürgern, die sich über Dinge in der Stadt ärgern oder Verbesserungsvorschläge machen wollen, vom Wunsch nach mehr Bäumen bis hin zu Vorschlägen für neue Radwege. Pro Eintrag ein Sticker. Pro Sticker die Garantie, dass ein Verantwortlicher der Partei reagieren wird, meistens schriftlich, manchmal aber auch mit einem Hausbesuch. Christian Heistermann schrieb, dass es bei ihm keinen einzigen Spielplatz für seine Kinder gebe. Darüber hatte er sich per Mail auch schon bei anderen Kandidaten beklagt, sagt er. Aber bis auf Werbematerial bekam er keine Antwort.

Die Berliner Grünen also eine einsame Avantgarde im Netz? Ein Blick ins Rund der Parteien mag das nur zum Teil bestätigen. Sicher, dort gibt es SPD und FDP, die – aus Mangel an Motivation die einen, aus Mangel an Mitteln die anderen – nicht mehr als das Notwendigste tun, um online mit potenziellen Wählern ins Gespräch zu kommen: ein bisschen Facebook, ein bisschen Twitter. Und natürlich die unvermeidliche Kampagnen-Homepage, mit Wahlprogramm, Terminkalender und Werbevideos. Ähnlich auch die Berliner Linke, die sich – obwohl von den etablierten Parteien die mit dem ausführlichsten netzpolitischen Profil – mit ungewöhnlichen Onlinestrategien zurückhält. Aber da ist auch Frank Henkels CDU, die Bürger via Internet am Wahlprogramm mitarbeiten ließ.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die Piratenpartei die Möglichkeiten des Internets im Wahlkampf optimal einsetzt.

Und da sind natürlich die Piraten: Per Liquid Democracy und LiquidFeedback können auf ihrer Homepage auch Nicht-Mitglieder zu allen inhaltlichen Fragen ein Votum abgeben – und das nicht nur im Wahlkampf. Für Sprecher Ben de Biel alias Benjamin Biel einer der Hauptgründe dafür, dass die Partei auf einmal so gut dasteht, auch außerhalb des Schutzraumes Internet: „Wir können so ganz schnell Sachverstand und Positionen generieren – zu allen Themen. Das Internet ist das Werkzeug, aber es ist als Ort maximal Teil eines Zuhauses, in dem es zum Überleben viel mehr braucht: Da geht es um Kirche, Krankenhaus und was zu essen.“

„Das ist der Schlüssel für alles Weitere“, sagt Renate Künast beim Rundgang durch Mahlsdorf und meint damit ihre Webseite. Sollten die Grünen in der künftigen Landesregierung sitzen, „dann wollen wir dort stärker solche Methoden zur Bürgerbeteiligung nutzen“. Die althergebrachten „passen nicht zu einer modernen Gesellschaft“. Ein Punkt, den der Duisburger Politikwissenschaftler Christoph Bieber, mit deutlich weniger Emphase, bestätigt: „Gerade die großen Mitgliederparteien stecken da in einem Dilemma: Wie sie jetzt funktionieren, erreichen sie die Bürger zunehmend nicht, aber wenn jeder mitreden darf, was zeichnet dann noch die Mitglieder aus?“ Den Mittelweg der Berliner Grünen, Wähler als Impulsgeber ins Boot zu holen, beobachtet Bieber wohlwollend, warnt aber: „Parteien müssen bei partizipativen Kampagnen einen Kontrollverlust in Kauf nehmen.“ Wie anspruchsvoll die permanente Moderation ungefilterter Bürgeranliegen sei, zeige sich unter Umständen auch erst, wenn ein Modell wie das grüne eben nicht dauerhaft aufrecht erhalten werden könne. Dass das neue Metier anspruchsvoll ist, mussten die Grünen bereits zum Anfang der Kampagne erfahren: Da hatte ausgerechnet der Chef einer Agentur, die am Auftritt mitgewirkt hatte, eine der ersten Bürgerfragen gestellt. Das provozierte im Netz Hohn und Spott.

Wie schnell es von der Netzavantgarde zurück ins Glied „normaler“ Parteien gehen kann, hat in der Zwischenzeit die CDU bewiesen. Auf die Phase der Beteiligung folgt nun die der handelsüblichen Verlautbarung, konkrete Spuren der Partizipation sind aus ihrem Programm weitestgehend verschwunden, weitere Interaktionsprojekte vorerst nicht geplant. „Das ist wenig transparent“, kritisiert Nils Jonas, Internetexperte beim Verein „Mehr Demokratie e.V.“. Er will klar unterschieden wissen zwischen Wahlkampf und einem echten „Mehr“ an Offenheit und Verbindlichkeit. Just das habe die CDU getilgt, indem nun überhaupt nicht mehr ersichtlich sei, wie genau Impulse ihren Weg ins Programm gefunden hätten.

Für die Grünen läuft indes alles nach Plan, zumindest im Netz. Dass ihnen das, wie es momentan aussieht, keinen Wahlsieg bescheren wird, zeigt allerdings dessen begrenzte Mobilisierungspotenziale. In Mahlsdorf ist das freilich kein Thema: Nach dem gemeinsamen Rundgang mit den Heistermanns versprechen Künast und ihr Parteifreund Huhn, das Spielplatzproblem in der Bezirksverordnetenversammlung vorzutragen.

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