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Zum Beweis.  Irina (Janina Elkin) konfrontiert Wolfgang (Thorsten Merten) mit ihrer Operationswunde.

© Kamuran Erkaçmaz/ZDF

ZDF-Film: Der Preis der Niere

„Fremdkörper“, ein Stundendrama im ZDF um eine Organspenderin und den Mann, der das Organ bekommen hat.

Angesichts der Publikumsvorlieben hätte es nicht überrascht, wenn Christian Werner seine Geschichte als Krimi oder Romanze erzählt hätte. Aber „Fremdkörper“ wird den Assoziationen, die der Titel weckt, vollauf gerecht. Er bezieht sich auf die neue Niere, die dem Spediteur Wolfgang Kruber (Thorsten Mann), einem Mann um die fünfzig, das Leben gerettet hat. Aber das Organ stammt aus einer illegalen Quelle. Die Operation fand in Istanbul statt. Die Spenderin, eine junge Frau aus der Ukraine, hat Gruber ausfindig gemacht: Sie schreibt ihm, die Organhändler hätten sie um ihren Anteil in Höhe von 10 000 Euro gebracht, und will das Geld nun von ihm.

Geschickt lässt Werner, der das Drehbuch gemeinsam mit Sebastian Heeg geschrieben hat, zunächst jedoch offen, was Gruber zu der offenbar überstürzten Reise veranlasst hat; das stellt sich erst im Verlauf der Gespräche mit Irina (Janina Elkin) heraus. Anfangs sieht man nur Bildfetzen, die durch Krubers Erinnerungen huschen, als er im Bett die Lichteffekte betrachtet, die die Autoscheinwerfer im Hotelzimmer verursachen. Auf diese Weise wirken die kurzen Einschübe wie Spuren, die das Operationserlebnis auf seiner Netzhaut hinterlassen hat. Ähnlich sorgfältig komponiert ist auch die Annäherung zwischen Organspenderin und Empfänger. Zunächst ist Kruber misstrauisch und weist Irinas Ansinnen brüsk zurück, aber dann plagt ihn sein Gewissen. Weil er die geforderte Summe nicht auf einmal am Geldautomat abheben kann, muss er eine nicht geplante weitere Nacht am Bosporus verbringen; Irina lädt ihn ein, bei ihr zu übernachten. In vielen anderen Filmen hätte die gemeinsam verbrachte Nacht das Drama vermutlich zur Romanze gewandelt, zumal Kruber und Irina nach einem feuchtfröhlichen Abend tatsächlich Sympathie füreinander empfinden, aber dank Werners Führung der beiden ausgezeichneten Hauptdarsteller bleibt es bei der Andeutung einer subkutanen Nähe.

Trotzdem ist die Geschichte hochemotional, zumal Kruber nach einem Zufallsfund in Irinas Wohnung der Überzeugung sein muss, dass ihn die junge Frau nach Strich und Faden belogen hat. Dank der Handkamera (Eva Katharina Bühler) erlebt man die Ereignisse hautnah aus seiner Perspektive. Merten bietet eine vorzügliche Projektionsfläche für Identifikationsgefühle: Einerseits erzählt er Irina von seiner neu erwachten Lebensfreude, andererseits umweht ihn nach wie vor jene Tragik, die an die Zeit vor der Transplantation erinnert.

Zu diesem Wechselbad passen die Bilder des Films: Werner zeigt Istanbul von seinen Schattenseiten. Die mittellose Irina wohnt arm und illegal in einem Stadtviertel, in das sich Touristen vermutlich nie verirren; die düstere Atmosphäre passt zur Stimmung des Films. Mutig und unbequem der Realismus bei der Verständigung: Kruber und Irina sprechen ein (untertiteltes) holpriges Gebrauchsenglisch. Und so hat „Fremdkörper“ nur ein Manko: Der Film dauert bloß sechzig Minuten; man würde gern wissen, wie es weitergeht mit diesem ungleichen Schicksalspaar. Tilmann P. Gangloff

„Fremdkörper“, ZDF, 23 Uhr 55

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