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Bizarr. Gräfin Belavar (Iris Berben) soll als Gastgeberin im „Zeugenhaus“ eine harmonische Gesprächsatmosphäre herstellen, damit Gestapo-Gründer Rudolf Diels (Tobias Moretti, links) und Wehrmachtsgeneral Erwin Lahousen (Matthias Brandt) als Zeugen bei den Nürnberger Prozessen offen reden.

© Mathias Bothor/ZDF

ZDF-Film in Starbesetzung: Das Zeugenhaus: Schuld trifft Unschuld

Nach historischem Vorbild: „Das Zeugenhaus“ bringt Nazis und Nazi-Opfer unter einem Dach zusammen. Damit in den Nürnberger Prozessen die Täter überführt werden können

Kurz vor Schluss, als der Nebel sich verzogen hat und endlich alle einigermaßen Bescheid übereinander wissen, kommt es zum bizarrsten Dialog in dieser bizarren Hausgemeinschaft. Es treten auf: Heinrich Hoffmann, einst persönlicher Fotograf von Adolf Hitler, er nennt ihn im Rückblick „Herr Hitler“ und spricht ihn von allen Verbrechen frei, denn „er konnte ja nicht mal Blut sehen“. Und Marie-Claude Vaillant-Couturier, französische Résistance-Kämpferin und Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, sie trägt die eintätowierte Häftlingsnummer 31865 auf dem Unterarm. Ihr Name sei so kompliziert, sagt Hoffmann, „darf ich Sie weiterhin Marie nennen? – „Ich habe auch eine Nummer auf dem Arm. Vielleicht können Sie sich eine Nummer besser merken.“ Zustimmendes Nicken. „Zahlen habe ich mir immer gut gemerkt.“

Der Wortlaut ist frei erfunden und steht doch perfekt für den Geist dieses Sozialexperiments, das die US-amerikanische Justiz zur Vorbereitung auf die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse arrangiert hat. Herbst 1945. Im Nürnberger Justizpalast werden die Täter auf ihre Opfer treffen, und vorher leben sie schon mal gemeinsam unter einen Dach. Eine Idee der Amerikaner, die einen höchst willkommenen Effekt zeitigt. Das Zusammenleben über Wochen und Monate erleichtert den Opfern die spätere Konfrontation und den Tätern lockert sie die Zungen.

„Das Zeugenhaus“ heißt das ZDF-Kammerspiel, das Matti Geschonneck über dieses kaum bekannte Kapitel der Stunde null inszeniert hat. Es hat dieses Zeugenhaus wirklich gegeben, genau genommen sogar zwei davon. Eines wurde geleitet von Ingeborg Kalnoky, einer ungarischen Gräfin, deren Erinnerungen dem Projekt als historische Vorlage dienten. Iris Berben spielt die Gräfin mit einer Mischung aus Würde und Verzweiflung, zur Überhöhung dichtet ihr das Drehbuch von Magnus Vattrodt (nach dem Buch von Christiane Kohl) noch eine Morphium-Sucht an. In ihrer Zerrissenheit sieht die Berben ausnahmsweise mal so alt aus, wie sie wirklich ist, was wohl nur in einer von ihrem Sohn Oliver verantworteten Produktion durchgeht.

Um die 100 Menschen durchliefen nach dem Krieg die beiden Nürnberger Zeugenhäuser. Hier traf Schuld auf Unschuld. In den Gästebüchern finden sich neben dem Fotografen Hoffmann auch die Namen von Hitlers Adjutant Fritz Wiedemann und Gestapochef Rudolf Diels, aber auch der Widerstandskämpfer Robert Havemann und der Wehrmachtsgeneral Erwin Lahousen, einer der Verschwörer vom 20. Juli.

Hitler-Fotograf Heinrich Hoffmann verteidigt den Nazi-Führer

Von Lahousens Aussage hängt viel ab, und weil es um seine Psyche nicht zum Besten bestellt ist, schicken ihm die Amerikaner zur Zerstreuung für ein paar Tage eine Dirne aufs Zimmer. Im Film schlägt Lahousen, gewohnt brillant von Matthias Brandt verkörpert, das Angebot aus und ergeht sich nur in existenziellen Dialogen mit der jungen Dame. In Wirklichkeit war er nicht so keusch und zurückhaltend. Die Fürsorge erfüllt jedenfalls ihren Zweck. Lahousens Schilderungen vor dem Nürnberger Tribunal bringt ein paar Schergen dem Galgen näher. Dabei hatte sich Heinrich Hoffmanns Tochter Henriette doch erhofft, der General würde ein gutes Wort einlegen für ihren Ehemann, den ehemaligen Reichsjugendführer Baldur von Schirach.

Rosalie Thomass’ Henriette von Schirach ist so naiv und anmaßend zugleich, wie es stellvertretend für Millionen aus der Katastrophe erwachende Deutsche steht. Für die Konfrontation mit einer Wahrheit, die einfach nicht wahr sein darf. Für das Festklammern an Lügen, die Halt geben im Angesicht der Katastrophe. „Reichsjugendführer und Reichsstatthalter in Wien, so was wird man doch nicht als böser Mensch“, sagt sie einmal. Und: „Es war ein Fehler, die Juden umzubringen. Das hab ich dem Herrn Hitler auch gesagt. Es hätte völlig gereicht, sie aus dem Land zu jagen. Da war der Herr Hitler böse und hat mich nicht mehr auf den Obersalzberg eingeladen.“ In diesem Sinne vermerkt ihr Vater, listig-relativierend gespielt von Udo Samel: „Neuerdings darf ja jeder alles auf Herrn Hitler schieben. Jetzt ist er tot und kann sich nicht wehren.“

Heinrich Hoffmann vertreibt sich das Warten auf den Prozess durch einen schwunghaften Schwarzhandel mit seinen Fotos, nicht ahnend, dass die Tage im Zeugenhaus kein gutes Ende für ihn nehmen werden. Ganz anders als für den Gestapo-Mann Rudolf Diels, Tobias Moretti verleiht ihm mit Schmiss, Charme und Pomade die Aura eines nationalsozialistischen James Bond. Diels weiß, was die Amerikaner brauchen, er gibt es ihnen und wird Nürnberg dafür als freier Mann verlassen, ganz nach der von ihm formulierten Maxime: „Jetzt leben wir die Kunst des Überlebens.“

Matti Geschonneck hat Oliver Berbens Anfragen für das Zeugenhaus zwei Mal abgewehrt und beim dritten Mal nur unter der Bedingung zugesagt, die historische Vorlage ohne den üblichen pädagogischen Ansatz umzusetzen. Für ihn ist es auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Sein Vater, der Schauspieler Erwin Geschonneck, saß in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme. Kurz vor Kriegsende überlebte er als einer der wenigen den Untergang des von britischen Bombern versenkten Häftlingsschiffs „Cap Arcona“. Spät erst hat Matti Geschonneck Zugang zu seinem Vater gefunden, „er war bei diesem Thema sehr verschlossen und hat nur wenig erzählt. Er war der Meinung, es sei unmöglich wiederzugeben, wie es im KZ war. Ich kann nur in Grenzen nachempfinden, was er erlebt hat.“

Das Unaussprechliche steckt in einem Monolog in den finalen Minuten, sie geben dem Film eine kaum mehr erwartete Wendung. Mehr soll hier nicht verraten werden, nur die Empfehlung des Schauspielers Udo Samel an das Fernsehpublikum: „Schaut mal in die Hölle!“

„Das Zeugenhaus“, ZDF,  Montag, um 20 Uhr 15. Um 22 Uhr folgt eine Dokumentation mit Archivaufnahmen und Interviews mit Nachkommen früherer Hausgäste.

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