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Zehn Jahre Rundfunk Berlin-Brandenburg: „Wir wollen nichts – und wir geben nichts“

RBB-Intendantin Dagmar Reim über Sparen, das ideale Programm, Einflüsterungen der Politik und Lust auf die Südsee.

Frau Reim, die ARD plant einen Jugendkanal. Schauen Ihre Kinder überhaupt noch öffentlich-rechtliche Programme, speziell den RBB?

Meine Kinder leben nicht im Verbreitungsgebiet des RBB. Sie sind wie alle Kinder, sie nutzen nicht mehr sehr viel lineare, herkömmliche Medien. Wir haben uns darauf einzustellen, Jüngere auf allen Verbreitungswegen zu erreichen. Auf Tablets, Smartphones, überall. Ab und an nutzen sie auch ein Fernsehgerät. Selbstverständlich kann also ein Jugendkanal kein herkömmlicher Fernsehkanal sein. Er muss multimedial gedacht werden. Der Jugendkanal muss gemeinsam mit den starken jungen Radioprogrammen der ARD entwickelt werden.

Warum klappt das nicht im Fernsehen, was mit Fritz im Radio geschafft wurde?

Diese Welten sind weit voneinander entfernt. Die Dritten Programme sind per se keine jungen Programme. Da unterscheidet sich der RBB nicht von anderen. Es funktioniert nur das Inkubator-Modell, das wir bei Fritz haben. Ideen von Fritz werden daraufhin überprüft, ob sie fernsehtauglich sind. Das hat mit Chris Guse funktioniert und das machen wir verstärkt auch mit anderen Formaten.

Raufen Sie sich abends nicht manchmal die Haare, wenn Sie RBB-Fernsehen schauen, Sendungen wie „Die charmantesten Brandenburger Landhäuser“ oder „Die 30 tollsten Schlagerstars“?

Die Haare würde ich mir schon deshalb nicht raufen, weil sie danach nicht mehr ordnungsgemäß liegen. Im Ernst: Es wird kein RBB-Fernsehprogramm geben, das 80 oder 90 Prozent der Zuschauer gefällt. Dennoch muss das Programm stark sein im Regionalen. Das sind wir mit der „Abendschau“, „Brandenburg aktuell“ oder „Zibb“. Darüber hinaus sind wir gerade dabei, das RBB-Fernsehen zu einer Adresse für Innovation zu machen, so wie mit „Thadeusz und die Beobachter“ oder „Bücher und Moor“.

Zu Thadeusz: Mit „Dickes B.“ ist der RBB im x-ten Anlauf an einer Talkshow gescheitert. Warum müssen wir freitagabends „Riverboat“ schauen, wenn wir spannende Leute aus Berlin sehen wollen?

Bei den Talks ist uns in der Tat nicht alles gelungen, darum setzen wir nun auf andere Formate. Sie müssen allerdings bedenken, dass beispielsweise die „NDRTalkshow“ auf 30 Jahre Geschichte zurückblicken kann.

Im Mai 2003 wurde aus ORB und SFB der RBB. Ist aus der Zweiländeranstalt ein gemeinsamer Sender geworden?

Mit der inneren Einheit des RBB sind wir gut vorangekommen. Es war ein großer traditionsreicher Sender, 50 Jahre SFB, und ein kleiner neuer Sender, zwölf Jahre ORB. Klar war, dass allein durch den Verbund die enormen Finanzprobleme nicht gelöst wären. Wir mussten sparen, bis es quietscht. Meine erste Amtszeit diente dazu, die Fusion zu realisieren. Die zweite war der finanziellen Konsolidierung gewidmet. Nun geht es um die Profilierung des Programms.

Im Herbst beginnen die Verhandlungen für den neuen Finanzausgleich unter den neun ARD-Anstalten. Mit welcher Position gehen Sie in diese Verhandlungen?

Wir wollen nichts und wir geben nichts. Wir können wegen unserer finanziellen Situation nicht zum Gebersender werden. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, den RBB so konsolidiert, dass wir niemanden um milde Gabe bitten.

Seit der Fusion sind im RBB rund 300 Stellen entfallen. Ist genug gespart worden?

Wir wissen nicht ganz genau, wie sich der neue Rundfunkbeitrag entwickelt. Und wir haben auch die Zahl der Beitragsbefreiungen nicht selbst in der Hand. Der Prozentsatz an Befreiungen in unserem Sendegebiet liegt so eklatant über dem Bundesdurchschnitt, dass uns Millionenbeträge fehlen. Nur dann, wenn wir wissen, was wir durch den Beitrag bekommen, können wir sagen, ob wir weiter sparen müssen.

Zurück zum Programm, zum Selbstverständnis des RBB. Der WDR macht herausragende Reportagen, der NDR kooperiert mit der „SZ“ bei Wikileaks. Wir haben den Eindruck, dass der Hauptstadtsender in Sachen investigativer Journalismus weniger auffällig ist.

Wir bemühen uns. In „Klartext“ und „Kontraste“ gelingt uns allerhand. Schauen Sie sich unsere Stasi-Berichterstattung an. Das ist eine Domäne des RBB. Ich denke da auch an Filme wie „Terror im Kiez“, über eine Familie, die sich wehrte gegen neonazistische Umtriebe. Wir sind am Ball, aber sicher ist da mehr zu machen.

Fehlt es in Ihrem Sender an einem Klima des Mutes?

Im Gegenteil! Ich ermuntere Kollegen, sich schwieriger Themen anzunehmen. Es bedarf eines langen Atems, um solche Schwerpunkte zu setzen.

Apropos Mut. Das zehnjährige Jubiläum des RBB wird von der Affäre um den Anruf des Brandenburger Regierungssprechers Thomas Braune bei RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein und die nachfolgenden Änderungen am Beitrag über den Flughafen BER überschattet. Darin sah Ministerpräsident Platzeck auf eine plötzliche Reporterfrage nicht so gut aus.

Überschattet? Nein.

Auf jeden Fall hat die Diskussion über etwaige Beeinflussung im redaktionellen Bereich für erheblichen Aufruhr gesorgt. Welche Konsequenzen werden daraus gezogen?

Wir haben uns ernsthaft überprüft: Wir müssen keine Konsequenzen ziehen. Die Mechanismen, die im RBB für derlei Auseinandersetzungen vorgesehen sind, haben vorzüglich funktioniert. Da wurde aus einer Mücke ein Elefant gemacht.

Es gab diesen Moment in einer Rundfunkratssitzung, wo Sie auf Anfrage nach Beeinflussung von außen sagen mussten, Sie hätten von solchen Vorgängen keine Kenntnis. Herr Singelnstein saß neben Ihnen und schwieg. Er hatte definitiv Kenntnis.

Sicher, aber ich musste davon nichts wissen. Weil die Sache erledigt war. Er muss mir lediglich Dinge sagen, die streitig waren und bleiben. Die Sache mit dem Braune-Anruf, die elf Monate vorher passierte, war das nicht. Der Redaktionsausschuss hätte mir von Fällen, die die innere Pressefreiheit bedrohen, sofort berichtet. Glauben Sie mir, die reden mit mir über Dinge, die nicht richtig laufen.

Das heißt, Herr Platzeck wird nicht mehr von RBB-Reportern „überfallen“.

Wir sind schon der Ansicht, dass man, wenn man nicht gerade investigativ unterwegs ist, seinem Gegenüber ankündigt, dass man ein Interview führen will. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Was war Ihr größter Fehler in zehn Jahren RBB-Intendanz, die Sache mit dem offenbar verirrten und dann spät geschassten Radio-Fritz-Moderator Ken Jebsen?

Zu Einzelpersonalien werde ich mich nicht äußern. Zum Thema Fehler fällt mir eher ein, dass wir in der Anfangszeit der Fusion in unserer Kommunikation zu wenig Rücksicht auf die unterschiedlichen Betriebskulturen von SFB und ORB genommen haben.

Okay, was war besonders gut?

Ich bin froh darüber, dass wir so früh das Multimediale für uns entdeckt haben und es konsequent betreiben: Radio, Fernsehen und Online aus einer Hand. Und darüber, dass wir knapp 40 Prozent Frauenquote in den Führungspositionen beim RBB haben.

Frau Merkel will ihre dritte Amtszeit zu Ende bringen. Ihre endet im April 2018. Sie sind dann 66 Jahre alt. Planen Sie mit einer kompletten Amtszeit?

Selbstverständlich, sonst hätte ich mich nicht vom Rundfunkrat wählen lassen.

Und danach: Haben Sie einen Lebenstraum? Eine Weltreise, einen Roman, eine Talkshow?

Keine Reportage vom Dnjepr, keine Talkshow aus einer verruchten Bar in Berlin-Mitte. Alles hat seine Zeit. Im neuen Leben möchte ich in die Südsee reisen. Ich versuche seit zehn, 15 Jahren, meinen Mann dazu zu überreden.

Das Gespräch führten

Markus Ehrenberg und Kurt Sagatz.

Dagmar Reim, geboren 1951 in Heidelberg, studierte Geschichte, Germanistik und Publizistik in Mainz und München. Journalistische Arbeit beim WDR, BR und NDR. 1998 Direktorin des NDR-Landesfunkhauses in Hamburg. Seit 2003 Intendantin des RBB. 2012 bestätigte sie der Rundfunkrat für eine dritte Amtszeit bis 2018. Seit Ende 2011 führt sie den Aufsichtsrat der ARD-Filmtochter Degeto. Heute, zum Start der Jubiläumswoche „Zehn Jahre RBB“, läuft um 0 Uhr 10 „Volles Programm Unterhaltung“.

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