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Was passiert. Der Erfurter Jude Erich Dublon (Christian Brückner) dokumentiert die Irrfahrt des deutschen Flüchtlingsschiffs „St. Louis“. Foto: WDR

© WDR

Zeitgeschichte: Im Schwulst der Geschichte

Die missglückte Flucht der „St. Louis“ 1939 als missglückter Film – und Christian Brückner mittendrin

Ein Buch liegt aufgeschlagen auf einem Tisch, der Wind schlägt die Blätter um. Das müssen die „alten Schriften“ sein, von denen gerade die Rede war. Dazu sieht man einen Mann, der an der Schiffsreling lehnt und gedankenverloren aufs offene Meer blickt. Wenn man nach diesem Beginn, der so künstlerisch-bemüht die Schwermut heraufbeschwört, noch nicht umgeschaltet hat, dann liegt es wohl an der markanten Stimme. Denn es ist Christian Brückners Stimme, und nicht nur das: Er ist es selbst, der wohl bekannteste Synchronsprecher Deutschlands (synchronisiert zum Beispiel Robert De Niro), der dort auf dem Schiffsdeck steht, durch den ganzen Film im langen weißen Mantel schreitet und dessen markantes Gesicht gefühlt jede zweite Einstellung füllt.

Brückner verkörpert in „Schatten der Erinnerung“, den die ARD am Mittwoch zeigt, den aus Erfurt stammenden Erich Dublon, der 1939 mit 900 anderen Juden auf dem Schiff „St. Louis“ Deutschland verließ, nach einer wochenlangen Odyssee in Belgien landete und 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Meist spielt Brückner den toten Dublon, der quasi als Botschafter aus dem Schattenreich noch einmal zu den Schauplätzen seiner eigenen Geschichte reist. Manchmal spielt Brückner auch den lebendigen Dublon, der 1939 Tagebuch führte auf der „St. Louis“. Dann sieht man sogar zwei Brückners/Dublons – und der tote legt dem lebendigen die Hand auf die Schultern. Sieht schwer danach aus, als habe sich da jemand ein besonders ambitioniertes Spiel mit den Zeitebenen, mit Realität, Geschichte und Erinnerung ausgedacht.

„Schatten der Erinnerung“ ist edel fotografiert. Brückner sieht gut aus, doch seine sparsame Gestik und Mimik beschränkt sich darauf, Bildtapete zu sein für die leider nicht selten schwülstigen Texte. Nein, diese Ein-Mann-Schau ist doch zu viel des Guten. Dass Dublon hier aus dem Totenreich argumentiert, ist ohnehin fragwürdig. Schön, dass das Fernsehen ein quasi literarisches Experiment wagt, aber überzeugend ist dieser Umgang mit Zeitgeschichte nicht.

Dabei haben die Autoren Inga Wolfram und Helge Trimpert eine bewegende Geschichte zu erzählen: Als die 900 Juden am 13. Mai 1939 mit der „St. Louis“ Hamburg verließen, hatten ihre teuer erkauften Papiere schon keinen Wert mehr. Die Regierung in Kuba hatte die Erlaubnis, in den Hafen von Havanna einzulaufen, längst zurückgenommen. Doch Kapitän Gustav Schröder und den Passagieren wurde das nicht mitgeteilt. Als wieder die Rückkehr nach Deutschland drohte, begann ein verzweifelter Kampf um Aufnahme in andere Länder. Mehrere Regierungen lehnten ab, darunter die USA. An Bord gab es Selbstmordversuche. Dublon in seinen Tagebuchtexten und einige überlebende Zeitzeugen schildern im Film die Atmosphäre auf dem Schiff. Gut einen Monat später durfte die „St. Louis“ in Antwerpen vor Anker gehen. Eine jüdische Hilfsorganisation hatte erreicht, dass jeweils ein Viertel der Menschen in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und England unterkam. Doch was nach Zuflucht aussah, endete für die meisten mit dem Transport in den Tod.

„Schatten der Erinnerung“, 23 Uhr 45, ARD

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