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Zeitschriften: Der „Wow“-Faktor

Wie neue Technik den großen Illustrierten aus der Krise helfen soll

Man solle nie eine gute Rezession verschwenden, sagen Juan Señor und John Wilpers, Not mache schließlich erfinderisch. Beispiele gibt es viele. In der Studie „Innovations in Magazines“, die sie für den Weltverband der Zeitschriftenverleger angefertigt haben, beschreiben die Herausgeber etwa, wie das New Yorker Magazin „Esquire“ mit seiner technisch innovativen Dezemberausgabe 2009 einen Aufmerksamkeits-Coup landete.

Das Zauberwort: „Augmented Reality“ (AR) – also die Erweiterung der Realität durch digitale Informationen. Auf dem Titel und im Heft waren quadratische, gepixelte AR-Marker abgedruckt (siehe Fotos links). Wer eine Software von der „Esquire“-Internetseite heruntergeladen hatte, brauchte nur die Marker vor seine Webcam zu halten, um interaktive Modestrecken, eine Witze erzählende Schauspielerin oder Autowerbung auf dem Computerbildschirm zu sehen. Bewegte man das Heft, änderte sich das Bild. Dieser „Wow-Faktor“, sagt Señor, sei besonders für Anzeigenkunden interessant, die bei ihrer Zielgruppe einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen wollen. Auch das US-Modemagazin „Instyle“ brachte eine AR-Ausgabe heraus – und steigerte seine Werbeerlöse damit um 3,6 Prozent.

Diese Ergebnisse sind für Verlage durchaus interessant. Schließlich haben Publikumszeitschriften im Jahr 2009 allein in den USA ein Viertel ihrer Anzeigenseiten verloren. Deutsche Magazine verloren rund 16 Prozent. Auch der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) sieht die Verlage unter Druck, neue Wege zu gehen. Ihnen müsse gelingen, „Journalismus in neuen digitalen Vertriebskanälen auf den Markt zu bringen“, wie es in einer Grundsatzerklärung heißt.

Deutsche Magazinmacher können sich da auf dem internationalen Markt einiges abgucken. Die Entwicklung ist klar: „Print wird Ausgangspunkt und Schnittstelle hinein in eine digitale Contentwelt“, konstatiert VDZ-Marketingexperte Holger Busch im aktuellen „Industry Outlook 2010“ des Verbands. AR-Inhalte wurden hierzulande zwar noch nicht getestet – „aber das wird kommen“, erwartet Busch. Mit sogenannten 2D-Barcodes experimentieren erste Zeitungen bereits. Fotografiert man diese schwarz-weißen, pixeligen Bilder mit der Smartphone-Kamera, gelangt man – mit der richtigen Software – auf eine Website mit Informationen, Werbung oder Videos.

Einen anderen digitalen Vorstoß wagte das US-Magazin „Entertainment Weekly“ im Herbst. In einer Anzeige für den Fernsehsender CBS konnten Leser einen Film anschauen – direkt auf der gedruckten Seite der Sonderbeilage. Für das 40-minütige „Video in Print“ (VIP) wurden ein 2,7 Millimeter dicker Bildschirm, ein Lautsprecher und eine Lithiumbatterie in die Seite eingesetzt. Die deutsche Illustrierte „Gala“ übernahm die amerikanische Technologie im Januar 2010 und stattete einen Teil ihrer Abo-Auflage mit einer Beilage aus, die per VIP ein Video zum neuen Otto-Katalog abspielen konnte. Diese Werbeform sei auf großes Interesse gestoßen, heißt es beim Vermarkter G+J Media Sales.

Wo sollten Verlage ansetzen? Einfache Antworten gibt es nicht. Erweiterte Realität und mobile Inhalte, da sind sich Señor und Wilpers mit Busch einig, seien je nach Anbieter und Zielgruppe ebenso sinnvoll wie Online-Spiele oder die Nutzung sozialer Netzwerke. Am wichtigsten sei es für Verlage, sich grundsätzlich auf die neuen Herausforderungen einzustellen. „Monomedia ist nicht die Zukunft“, sagen die beiden Berater. Und auch VDZ-Mann Holger Busch setzt auf „Print plus“. Ein viel versprechendes Beispiel ist hier das spanische People-Magazins „Hola“. Die Zeitschrift erscheint im Wochenrhythmus, ihre Internetseite aber wird täglich von einer eigenständigen Redaktion aktualisiert. Ebenfalls täglich produziert „Hola“ im eigenen Studio Videobeiträge zu Unterhaltungs- und Promi-Themen, die „holatv.com“ zeitweilig zur meistbesuchten Videoseite Spaniens machten. Im Oktober 2009 zählte sie laut Señor und Wilpers’ Studie 59 Millionen Aufrufe. Zum Vergleich: „Spiegel Online“ hat derzeit monatlich 720 Millionen Klicks.

Die größte Chance auf ein lukratives Geschäftsmodell sehen alle befragten Experten jedoch in Tablet-Computern wie Apples iPad. Es reiche allerdings nicht, einfach die Print-Ausgabe ins Netz zu stellen. Vielmehr müssten neue, der Plattform angepasste, multimediale und interaktive Erzählweisen entwickelt werden. „Digitales Storytelling“ nennt es Wilpers. Wenn die journalistische Aufbereitung und Präsentation anspreche und überzeuge, seien Leser auch bereit, Geld für die Inhalte zu bezahlen.

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