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Zensur und Selbstzensur: „Angst definiert die Grenze“

Die prominente Journalistin Banu Güven über die Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei und darüber, ob der erneut eskalierte Konflikt mit der PKK die Arbeitsbedingungen für Medien weiter verschärfen wird.

Sie waren 14 Jahre lang der Star im türkischen Nachrichtensender NTV, haben täglich eine eigene Talkshow moderiert, doch dann mussten Sie den Sender verlassen. Waren Sie zu kritisch?

Zumindest für NTV. Eine Woche vor den Parlamentswahlen Anfang Juni wollte ich Leyla Zana, die kurdische Kandidatin des Bündnisses für Arbeit, Freiheit und Demokratie zu Gast in meiner Sendung haben, denn ihre Geschichte erzählt viel über die politische Situation in der Türkei. Der Sender wusste darüber Bescheid. Doch einige Tage vor der Sendung wurde mir gesagt, dass wir das Interview nicht machen können. Das war ganz klar Zensur und das konnte ich nicht hinnehmen. Der Sender und ich haben uns getrennt.

NTV weist den Vorwurf der Zensur oder Selbstzensur zurück und erklärt Ihren Abgang damit, dass ein neues Programmschema geplant sei, in dem Sie keinen angemessenen Platz gefunden hätten.

Das stimmt nicht. Es gab und gibt Zensur und Selbstzensur. Was aber richtig ist: der Sender plante wegen politischer Schwierigkeiten ein neues Programmschema. Einige kritische Kollegen und ich hatten darin keinen Platz mehr. Selbst wenn ich Frau Zana nicht in meine Sendung eingeladen hätte, hätte ich nicht länger bei NTV bleiben dürfen.

Steht Ihr Fall stellvertretend für die eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, die der Türkei gerade von der Europäischen Union bescheinigt wurde?

Ja, nicht nur ich, sondern viele Kollegen sind betroffen. Die Presse wird eingeschüchtert. Journalisten wagen kaum, kritische Fragen an Ministerpräsident Tayyip Erdogan zu stellen. Einige Kollegen hat er sogar öffentlich abgekanzelt.

Wie sieht diese Einschüchterung aus?

In einer Wahlveranstaltung im Mai sagte Erdogan beispielsweise, dass den Kandidaten des Bündnisses für Arbeit, Demokratie und Freiheit in den Medien kein Platz gegeben werden sollte, weil das der PKK diene. Einige Medien haben diese Warnung anscheinend ernst genommen.

Vermutlich auch aus Angst vor weiteren Konsequenzen.

Viele Kollegen wagen nicht, in privaten Telefongesprächen die Regierung zu kritisieren. Sie denken, dass sie abgehört werden. Hinzu kommt, dass mehr als 60 Journalisten in der Türkei aufgrund ihrer Veröffentlichungen zu kritischen Themen in Haft sitzen oder vor Gericht stehen.

Druck scheint es auch durch die Nähe von Medien und Wirtschaft zu geben.

Ja, NTV ist Teil einer Unternehmensgruppe, zu der unter anderem eine der erfolgreichsten Privatbanken des Landes gehört. Jahrelang konnte ich kritisch über Themen wie Menschenrechte, die kurdische Frage oder verschiedene Staudammprojekte, die sogar von derselben Unternehmensgruppe finanziell unterstützt werden, berichten. Aber schließlich war das nicht mehr erwünscht.

Weshalb?

Kurz vor den Wahlen konnte sich der Sender Kritik an der Regierung nicht mehr leisten. Die Befürchtung, bei staatlichen Ausschreibungen keinen Zuschlag mehr zu bekommen oder die Angst, dass irgendwoher irgendeine horrende Steuerschuld auf sie zukommen könnte, definiert die Grenzen der Pressefreiheit in diesen Medienunternehmen.

Gibt es denn türkische Medien, die unabhängig und kritisch informieren?

Es gibt einige Medien wie IMC–TV oder die Seite bianet.org. Aber natürlich merken die Zuschauer, dass sie bei mehreren Sendern nicht die ganze Wahrheit zu sehen bekommen. Ich glaube, dass die klassischen Medien in der Türkei deshalb an Bedeutung verlieren und die Menschen sich lieber im Netz informieren.

Werden sich die Einschränkungen für Journalisten durch den erneut eskalierten Konflikt zwischen der Türkei und der PKK weiter verschärfen?

Das ist jetzt noch nicht abzuschätzen. Ohnehin sind die Einschränkungen nicht allein auf die Kurdenfrage begrenzt. Dennoch gibt es speziell in diesem Bereich immer wieder Probleme. Beispielsweise mussten sich Kollegen von mir, die mit PKK-Führern oder -Mitgliedern gesprochen haben, vor Gericht verantworten. Was Mittwoch passiert ist, ist aber sehr traurig. Ich hoffe, dass die Sprache des Friedens endlich vorherrscht.

Glauben Sie, dass sich Journalisten künftig stärker wehren werden?

Nein, denn „money talks“. Die Mediengruppen wollen an der Macht teilnehmen und viele Journalisten nicht ihren Job verlieren. Ich werde bald Artikel und Videobeiträge auf meiner Website www.banuguven.com veröffentlichen. Dort kann mir niemand reinreden. Ich glaube fest daran, dass unabhängiger Online–Journalismus uns den Weg zur Meinungs- und Pressefreiheit ebnen wird.

Das Gespräch führte Sonja Pohlmann.

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