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Medien: „Zitty“ bleibt schuld

Das Berliner Stadtmagazin wird 30 und präsentiert sich mit neuem Layout

Vielleicht hört das nun auf, jetzt, da sie 30 wird. Die verwüsteten Wohnungen nach wilden Partys, die rumknutschenden Leute überall, die zig Anrufe in Abwesenheit. Stets zeigte sie sich danach einsichtig, sie habe die Leute dazu angestiftet: zu feiern, sich kennenzulernen, in Kontakt zu bleiben. Aber die Selbstbezichtigung „Zitty ist schuld“, mit der das 14-tägig erscheinende Hauptstadtmagazin für sich warb, klang eher frohlockend. Und in jeder Ausgabe fordert der Chefredakteur, der Leser solle rausgehen und schauen, was da los ist. Die Stadt als Verheißung.

Heute kommt das Jubiläumsheft auf den Markt und präsentiert sich frisch renoviert. Der hausgemachte Relaunch geht an die Substanz. Selbst das Logo musste dran glauben, der „Zitty“-Schriftzug wurde verschlankt und aus seinem roten Kasten entlassen. Stadtmagazine müssen sich ständig neu erfinden, längst hilft das Internet bei der Abendplanung und schluckt Kleinanzeigen. Und auch Zeitungen listen täglich und in wöchentlichen Beilagen das Kulturprogramm. Matthias Kalle, seit September 2003 mit Unterbrechung Chefredakteur der „Zitty“, möchte deshalb den Magazincharakter seines Heftes betonen und optisch vermitteln. „Dieser Neustart war für mich Voraussetzung für meine Rückkehr“, sagt der 1975 geborene Kalle, der zwischenzeitlich als Kulturchef in der Entwicklungsredaktion der deutschen „Vanity Fair“ arbeitete.

Die „Zitty“ als Illustrierte, das bedeutet großzügigeres Layout, längere Geschichten, weniger Rubriken und Kolumnen. Die Ressorts Kino, Musik, Theater, Literatur und Kunst gehen in einem großen Kulturteil auf, das Veranstaltungsregister wird weiter nach vorne gezogen und gemischt mit Kritiken. „Die Auswahl der Höhepunkte wird wichtiger“, sagt Kalle. Weil Wertung und Einordnung an Bedeutung gewinnen, kann sich das Magazin, das zur Verlagsgruppe Holtzbrinck gehört (wie der Tagesspiegel), nun auch Stilseiten leisten: Hier soll nichts affirmativ und plump abgebildet werden, sondern der Berliner Alltag wird ironisch kommentiert oder einer strengen Phänomenologie unterzogen. „Mit der neuen ,Zitty‘ haben wir die große Chance, das Berliner Stadtmagazin zu werden, warum nicht so etwas wie der Berliner ,New Yorker‘“, sagt „Zitty“-Geschäftsführer Joachim Meinhold.

In dieser Woche lautet die Frage aus dem Redaktionssitz am Tempelhofer Ufer, warum das Palästinensertuch plötzlich „fashion victims“ gefällt. Dass das neue Heft unter seinen schätzungsweise 180 000 Lesern Skeptiker findet, weiß der Chefredakteur. Schon kleine Veränderungen provozieren heftige Reaktionen. Wie etwa bei der Kiste mit „Kino in der Kiste“: Vor kurzem strich die Redaktion diesen täglichen Index der Spielfilme im Fernsehprogramm. Entrüstung, Erregung, Empörung in den Leserbriefen waren die Folge. Schon in der folgenden Ausgabe war die Rubrik zurück. Doch vor allem das linksalternative Erbe hat Gewicht. Das Blatt wurde 1977 von zwölf Mitarbeitern der Stadtzeitung „Hobo“ gegründet. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen aufgebrachte Frauen wie 1984 das Haus stürmen und das Geschlechtsteil des Leitenden Redakteurs mit Farbe besprühen. Doch ob nun Schauspielerin Jana Pallaske auf dem Titel sich ein Foto mit einem Megabusen vors Dekolleté hält, ob die „Zitty“ den Hund zum Feind erklärt oder Begriffe wie den „urbanen Penner“ als Umschreibung für die unausgelasteten Kreativen in die Stadt entlässt – es bleibt nicht unwidersprochen.

Streitpunkt auch immer wieder das graue, grobe Papier, das Subversivität verheißt und die „Zitty“ vom Hochglanzkonkurrenten „Tip“ ganz sinnlich unterscheidet. Obwohl noch immer aus Altpapier gewonnen, werden die Seiten nun feiner, glatter, weißer: „Wir benutzen das gleiche Papier wie ‚Ein Herz für Tiere‘“, fühlt Kalle sich genötigt hinzuzufügen. Überhaupt wird der Schock für den treuen Leser etwas abgefedert: Das aktuelle Heft trägt den Titel „Grünes Erwachen“ und enthält ein großes Hans- Christian-Ströbele-Interview. Doch wie auch immer sich das Magazin moralisch nach alle Seiten abdichtet, „Zitty“ bleibt schuld, denn Berlin glänzt im neuen Layout noch verheißungsvoller. Und wer weiß, was das zur Folge hat.

„Zitty“-Geburtstagsparty mit den Bands Klee, The Pipettes, Jeans Team am Donnerstag ab 21 Uhr in der Maria am Ostbahnhof, Karten für zwölf Euro an der Abendkasse.

Daniel Völzke

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