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"Wirtschaftswoche"-Chefredakteur Roland Tichy ärgert sich über die Hörfunkprogramme des WDR.

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Zu meinem Ärger: Analyse nach dem Autokorso

Bilanz der Medienwoche: "Wirtschaftswoche"-Chefredakteur Roland Tichy über die WDR-Hörfunkprogramme und einen anachronistischen "FAZ"-Text.

Herr Tichy, worüber haben Sie sich in dieser Woche in den Medien am meisten geärgert?
Was ist eigentlich neu in einem medialen Zeitalter der sich selbst überholenden Neuigkeiten? Wann ist eine Nachricht eine Nachricht, wenn sich Nachrichten gewissermaßen in den eigenen Schwanz beißen? Gut, dass es noch Institutionen gibt, die die mediale Überflutung einfach ignorieren. Weitermachen! Einfach wie bisher! Die Hörfunkprogramme des WDR sind so ein Medien-Laden, der in die Gegenwart hineinragt wie eine fast verwaiste Filiale von Karstadt in die Fußgängerzone – unberührbar in seiner betonierten Ignoranz der Moderne! Bis spät in den Mittag des Mittwochs hinein war die Aufmachermeldung der Nachrichten der Sieg der deutschen Nationalelf über Brasilien. Und weil Nachrichten Hintergrund brauchen, immer die Analyse, dass noch am Abend der Gegner fürs Finale ermittelt werde. Sie wollen es nicht mehr lesen? Ich will es schon lange nicht mehr hören. Es gibt ja Nachrichten, denen kann man gar nicht entgehen, etwa wenn Autokorsos die Straßen verstopfen, nachdem rauschhafte Begeisterungswellen die Wohnzimmerfensterscheiben zum Erzittern brachten. Dieser Nachricht kann man nicht entgehen. Dazu braucht es kein Internet. Und auch keinen WDR.

Gab es auch etwas, über das Sie sich freuen konnten?
Wenn schon anachronistisch, dann richtig. Die FAZ demonstrierte am Montag, dass sie keine oberflächlichen Leser will. Einen Aufsatz, ja, so ist das Wort, einen Aufsatz über Inklusion kündigte sie an. Wer sich durchgebissen hat, ist seither ein kluger Kopf. Der Mainzer Historiker Andreas Rödder, „Rheinländer“ wie die FAZ-Vita betont, analysierte, wie unsere gesamte bürgerlich-liberale Ordnung durch die obrigkeitsstaatliche Inklusion beliebig vieler Minderheiten zerstört werden soll, ach was: zerstört wird. Der Inklusion von Behinderten, Homosexuellen, Frauen, Transgendern, Migranten folge wie ein Schatten die Exklusion – der Deutschen, des weißen Mannes. Ein wunderbarer Aufsatz, der zur Lektüre und Kritik Zeit frisst. Aber die kann man ja bei den WDR-Nachrichten gewinnbringend abknapsen. Papier ist manchmal doch schneller als Radio.

Roland Tichy ist Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“ und Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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