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Zu PAPIER gebracht: Das Handy Gottes

Wenn ich kein Smartphone will, bin ich dann ein Fall fürs analoge Altenheim? Wird der Nichtbesitz eines Smartphones bald zu den geriatrischen Deformationen zu rechnen sein?

Wenn ich kein Smartphone will, bin ich dann ein Fall fürs analoge Altenheim? Wird der Nichtbesitz eines Smartphones bald zu den geriatrischen Deformationen zu rechnen sein? Verpasse ich die Welt oder verpasst die Welt mich? Verdammt, du bist jetzt 46 Jahre alt, es ist doch zu früh, als Einsiedler in der webfreien Wüste zu enden! Ja, leg dir ein Smartphone zu! Deine Kinder wünschen sich das iPhone zum Geburtstag! Dabei sind sie gerade aus dem Kindergarten raus! Willst du von ihnen und ihren Enkeln als Höhlenmensch bestaunt werden? „Stell Dir vor, der Opa kann nicht telefonieren!“ – „Der Opa weiß nicht, was ein App ist, sei nicht so streng mit ihm, er ist 2011 stehen geblieben, er hat aufgehört zu ticken.“ Schon fühle ich mich wie eine Schwarzwälder Kuckucksuhr, umzingelt von Atomuhren.

Möglicherweise ist es auch andersherum. Wo ist das Smartphone, das mit mir Schritt halten kann? Okay, sie können Lexika, Pfadfinder und Rechenkünstler sein, aber können sie auch dichten? Können sie Mitleid empfinden? Kochen? Na gut, das ist jetzt Science Fiction, wer aber für Zukunftsmusik keinen Sinn hat, ist schon jetzt ein Greis. Das neueste Gadget ist zugleich immer das älteste, denn es wird überholt und überboten werden. Heute state of the art, morgen Museumsinsasse. Die Menschheitsentwicklung geht nicht ganz so schnell voran. Je schicker und schneller das Telefon, desto tumb-träger der Mensch. Oder? Können wir uns der technologischen Rasanz anpassen? Ist es eine Chance oder eine Gefahr, dass wir etwas entwickeln, das wir gar nicht ausschöpfen oder beherrschen können?

Andererseits fühle ich mich dem Smartphone, das ich noch nicht besitze, sehr verwandt. Wir gehören zu Übergangsgenerationen. Der Mensch wird sich verwandeln. Seine Gliedmaßen und sein Gehirn werden sich ändern, damit er die Maschinen, die er entwirft, auch bedienen kann. Unsere Finger etwa sind viel zu unförmig fürs Smartphone, da muss die Evolution ran. Aber möglicherweise ist alles ganz anders. Das Smartphone ist mein Abbild, mein Homunculus. Und ich? Bin ich nur ein Smartphone in der Hand eines ungeduldigen Gottes? Wann, mag er denken, kommt die nächste Version auf die Welt?

Meine Nase stößt gegen das Glas des Handyshops. Die Verkäuferinnen sehen fortschrittlich aus, sie scheinen evolutionär auf einem anderen Niveau zu sein. Ich trete ein. Eine sehr schlanke junge Frau mustert mich. „Willkommen in unserer Welt. Sie wollen ihre Höhle verlassen?“ – „Woher wissen Sie das? – Sie blinzelt mir zu: „Darf ich ihnen unser neuestes Modell ‚Prometheus 3000' mit Gedankenlese-App zeigen?“ Bevor sie mit ihren stricknadeldünnen Fingern angewidert mein Steinzeithandy ergreift, streift sie Handschuhe über. „Wir wollen uns doch nicht mit Retroviren anstecken? Oder?“

Torsten Körner ist Schriftsteller und Journalist.

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