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Werner van Bebber

© Kitty Kleist-Heinrich

Zu PAPIER gebracht: Ent-netzt oder entsetzt?

Spannung kann man auch positiv verstehen: Unser Kolumnist Werner van Bebber fühlt sich offline nicht alleine.

Offline: Ob das Wort eher bedrohlich klingt oder wie ein Versprechen, hängt vom Beruf und vom Alter ab. Wer durch das Netz vom Chef kontrolliert und von einem Termin zum nächsten geschickt wird, dem stehen jetzt, in den Ferien, ein paar Wochen in Freiheit bevor. Im Urlaub darf offline sein, wer im Alltag ständig online sein muss. Kein Lese-, kein Antwort-, kein Telefonierzwang: Das wird den Menschen, die sonst im Netz zappeln, weil sie müssen, wie die Erinnerung an Zeiten der Briefpost und des Festnetzanschlusses vorkommen, die womöglich nicht schlechter waren als die Gegenwart, im Vergleich zu heute entschleunigt. Was manche für erstrebenswert halten.

Wer jünger ist als 24, für den klingt „offline“ wie eine Zumutung. Wie – kein Netz? Kein W-Lan am Strand oder auf dem Berg? Wo gibt es denn so was! Fahren wir in die Sahara? 98 Prozent, also fast alle jungen Menschen zwischen 14 und 24, sind, das ergab jüngst eine Studie, ständig online. Das Netz gehört für sie zur Welt, zur Lebenswelt – und logischerweise fehlt von dieser Lebenswelt ein Teil, wenn man aus gestrigen technischen Gründen nicht online sein kann. Die Welt wird kleiner, und das eigene Lebenstempo wirkt weniger entschleunigt als zwangsgebremst und gedrosselt.

Unterwegs mit Netzsüchtigen

Die neue kleine kurze Freiheit der einen ist für die anderen ein befristeter Zwang. Wenn man in den Ferien familiär oder mit einem Netzsüchtigen unterwegs ist, und wenn man das Gesicht vom Smartphone heben und den anderen zuwenden muss, werden W-Lan-freie Zonen, Locations ohne Netzzugang zu seelisch- moralischen Spannungsgebieten. 

Spannung kann man auch positiv verstehen. Kommunikation, sonst durch Gewohnheiten und alltägliche Abläufe reduziert, könnte stattfinden – eine interessante, unvermittelte Sache. Dialoge könnten verweigert werden, sei es aus Groll über ent-netzte Zonen, sei es aus Mangel an Twitter-Meldungen von Leuten, die gerade Schwäne füttern – auch das eine interessante, unvermittelte Sache, wenn auch eine, die ähnlich explosive Folgen haben kann wie ein fundamentaler Ehekrach zu Weihnachten. Also besser immer online? Ach was, die Freiheit, offline zu sein, ist längst begrenzt. „Wir werden nicht mehr offline sein“, sagte jüngst die Netz-Fachfrau Jeanette Hofmann und meinte, dass das Netz in den kommenden zwanzig Jahren zum Bestandteil unserer Infra- und Lebensstruktur werden wird wie elektrischer Strom. Das ist  außer den Herausforderungen der Kommunikation ein weiterer Grund, sich auf das Offline-Sein noch einmal richtig einzulassen. Man könnte dem in den Sand gemalten Gesicht beim Verschwinden zusehen, dabei, wie die Wellen es überspülen. Offline ist das einfach authentisch, anders als manches Filmchen auf Youtube.

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