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Zu PAPIER gebracht: Nasse T-Shirts, dicke Hose

Die ICEBucketChallenge hat einen Nachfolger gefunden. Dabei spielen Bücher und Facebook große Rollen.

Der weltweit größte Wet-T-ShirtContest findet allmählich sein Ende. Nur vereinzelt tauchen bei Facebook noch Videos von Menschen auf, die sich mit einem Kübel Eiswasser überschütten, um angeblich auf die Krankheit ALS aufmerksam machen zu wollen. Doch kaum ist Deutschland wieder trockengelegt, droht das nächste Spektakel: die #BookChallenge. Jeder, der nominiert wird, muss auf Facebook seine zehn liebsten Bücher auflisten und selbst zehn Leute nominieren, die es ihm nachtun. Was das soll? Weiß niemand so genau, ist auch egal, es wird mitgemacht – und zwar aus dem Grund, der auch die #ICEBucketChallenge so erfolgreich werden ließ: Eitelkeit.

Das meint zumindest der Göttinger Psychiater Borwin Bandelow („Celebrities“). Um die Krankheit ALS oder die Bücher gehe es bei den Wettbewerben nur vordergründig. Getrieben seien die Teilnehmer von dem Wunsch nach Aufmerksamkeit. Dabei wird hier nur das uralte Prinzip des Kettenbriefs fortgesetzt: Bestimmte Menschen werden ausgewählt und dürfen „mitspielen“, die anderen schauen zu – und wer nicht mitmacht, ist ganz doll doof.

Entscheidend ist: Jeder kann auf Facebook mitverfolgen, wer wen für die Wettbewerbe nominiert. Und wer von wem zur Teilnahme aufgerufen wird. Die Nominierung wird zum Statussymbol, sie spiegelt einen sozialen Rang wider. Schaut her, wen ich kenne. Wer mich kennt. Schneller ist ein Endorphinkick kaum zu haben, verbunden mit einem vermeintlich guten Zweck. Sich im Hochsommer kurz mit einem Eimer Wasser zu überschütten und dabei filmen zu lassen, tut nicht weh. Sogar ein blödes Gesicht zu ziehen gehört zum Programm. Noch leichter ist eine Liste von zehn Büchern veröffentlicht, von denen niemand kontrollieren kann, ob man sie jemals gelesen hat. „Buddenbrooks“ statt „Shades of Grey“. Nie war es einfacher, sich als Literaturexperte zu inszenieren.

Bloß: Mehr Bücher werden wegen der #BookChallenge weder gelesen noch gekauft. Die #ICEBucketChallenge hat der US-amerikanischen ALS-Assoziation immerhin mehr als 100 Millionen US-Dollar an Spenden eingebracht. Doch heiligt der Zweck nicht die Mittel, wie der an ALS erkrankte Journalist Benedict Maria Mülder kürzlich im Tagesspiegel schrieb. Die #ICEBucketChallenge sei eine hohle symbolische Aktion. Mit ihr werde lediglich „ein allzu kurzer, verlogener Moment des Mitgefühls inszeniert“.

Ein Moment, in dem es vor allem um eines geht: um das eigene Ego.

Was auf #ICEBucketChallenge und #BookChallenge folgt? Vielleicht die #PumpkinChallenge – Kürbissuppe für den Weltfrieden? Die zehn besten Pommesbuden? Bitte keine Challenges mehr und auch keine Listen. Wer Bücher lesen oder Geld für einen guten Zweck spenden will, braucht keine Zuschauer.

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