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„Hysterie“.  Der damalige Chefredakteur Charbonnier hat in einem kurz vor seiner Ermordung fertiggestellten Buch den Vorwurf der Islamfeindlichkeit zurückgewiesen.

© AFP

Zukunft der Satirezeitschrift: Wer besitzt „Charlie Hebdo“?

Ein Essay des ermordeten Chefredakteurs Stéphane Charbonnier und Fragen nach den Spenden. Das Klima in der Redaktion gilt als vergiftet.

„Warum hat ‚Charlie Hebdo’ Mohammed karikiert, obwohl man wusste dass die Karikaturen von extremistischen Muslimen instrumentalisiert würden?“ Das fragt Charb, mit bürgerlichem Namen Stéphane Charbonnier, der beim Attentat auf „Charlie Hebdo“ am 7. Januar dieses Jahres ums Leben gekommene Chefredakteur des französischen Satireblatts, in einem posthum veröffentlichten Essay. Er hatte den Text zwei Tage vor seinem Tod vollendet. Daraus druckt „Charlie Hebdo“ in seiner neuesten Ausgabe einen mit Mohammed-Karikaturen aus Charbs Nachlass illustrierten Auszug als Vermächtnis ab. Der vollständige Text erscheint dieser Tage auch in Buchform.

Warum also wurde Mohammed karikiert? Der Vorwurf in dieser vom Autor rhetorisch gestellten Frage wurde schon 2006 erhoben, als „Charlie Hebdo“ Mohammed-Karikaturen aus einer dänischen Zeitung nachdruckte, und deshalb Ziel eines Brandanschlags geworden war. Darauf gibt Charb in dem Essay die Antwort, die er immer gegeben hat: „Ganz einfach deshalb, weil die Karikaturen nicht gegen die Gesamtheit der Muslime gerichtet sind.“

Die Zeichner von „Charlie Hebdo“ seien nicht der Ansicht, alle Muslime wären intolerant. Und auf Grund welcher verdrehten Theorie sollte Humor auch mit dem Islam weniger verträglich sein als mit irgendeiner anderen Religion, fragt er. Wenn man meint, man könne über alles lachen außer über bestimmte Aspekte des Islam, weil Muslime eben sehr viel empfindlicher seien als der Rest der Bevölkerung, was wäre das dann anderes als eine Diskriminierung? „Wir werden weiter über religiöse Fanatiker lachen.“

Der gegen „Charlie Hebdo“ erhobene Vorwurf der Islamophobie sei die Folge einer nicht nur von radikalisierten Muslimen entfachten Hysterie. Dadurch sei das Blatt zu einem potenziellen Ziel religiöser Extremisten geworden. Als Charb dies schrieb, wusste er nicht, dass die vage Ahnung für ihn und elf seiner Kollegen nur zwei Tage später tragische Realität werden sollte.

Dass „Charlie Hebdo“ nach dem Schock des Attentats bald wieder Fuß fasste und jetzt wieder jeden Mittwoch an den Kiosken aushängt, zeugt vom trotzigen Selbstbehauptungswillen und der ungebrochenen Streitlust der dezimierten Redaktion. Statt Mohammed zieren derzeit jedoch andere Figuren wie etwa Marine Le Pen das Titelblatt.

In der neuesten Ausgabe von „Charlie Hebdo“ prangert der Zeichner Luz die Gleichgültigkeit gegenüber den Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer an. Auf einem vollbesetzten kenternden Boot schmettert eine strahlende Blondine den Song „My heart will go on“ (Weil mein Herz dich nie mehr vergisst) aus dem Film „Titanic“, mit dem Céline Dion 1997 den Oscar für das beste Film-Chanson bekam. Die angsterfüllten Passagiere halten sich die Ohren zu. „Halt’s Maul!“ ruft einer.

„Charlie Hebdo“ also wie gehabt? Schon kurz nach dem Terrorüberfall Anfang Januar hatte sich eine Gruppe von Redakteuren zu einem „Kollektiv“ zusammengeschlossen. „Charlie Hebdo“ sei nicht mehr eine Publikation für einige tausend treue Leser, sondern ein „weltweites Symbol“. Sie verlangen deshalb eine „Neugründung“ des Blattes im Sinn seiner Gründer. Dabei geht es ihnen vor allem um eine Umwandlung der Besitzverhältnisse. Bisher gehört das Unternehmen zu 40 Prozent dem heutigen Chefredakteur Riss, zu 20 Prozent dem Verlagschef Eric Portheault und zu 40 Prozent den Erben des ermordeten Charb. Das Kollektiv fordert, die Anteile in eine Genossenschaft zu überführen, der alle Mitarbeiter angehören.

Dem Kollektiv brachte das, wie schon berichtet, den Vorwurf ein, nur auf die Millionen Euro scharf zu sein, die nach dem Attentat durch Spenden und gestiegene Auflagen hereinkamen. Dagegen hat sich der Sprecher des Kollektivs verwahrt. Man wolle „nur mehr Transparenz“ und verfolge „keine persönlichen Ambitionen außer der, eine immer bessere Zeitung zu machen“. Wie der Streit weitergeht, der nach den Worten eines Insiders das Klima in der Redaktion „vergiftet“, ist unabsehbar. Beide Parteien haben Schweigen vereinbart. So viel scheint allerdings sicher. Das Geld soll vor allem der Versorgung der Attentatsopfer dienen, in eine Stiftung zur Förderung der Pressezeichnung fließen und in die langfristige finanzielle Sicherung der Zeitung investiert werden. An Auszahlungen an die Mitarbeiter sei nicht gedacht.

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