zum Hauptinhalt
Die Puppen von deportierten Kindern musste Ada Lichtman für die Kinder von SS-Männern ausbessern.

© Arte/Synecdoche

Gedenktag der Auschwitz-Befreiung: Filme gegen das Vergessen

Aus Anlass des Holocaust-Gedenktages zeigt Arte die Reihe „Vier Schwestern“ von Claude Lanzmann und seinen Kinofilm "Der Letzte der Ungerechten".

Ruth Elias wird 1979 in Tel Aviv von Claude Lanzmann interviewt. Sie sitzt in einem rot-weißen Kleid in einem Korbstuhl, im Hintergrund Pflanzen, ab und zu trottet ein Schäferhund durchs Bild. Elias wirkt entspannt, sie spielt Akkordeon und singt. Denn das tat sie auch in Theresienstadt. „Wir sangen so viel, dass ich später in der Oper sang, in ,Die verkaufte Braut‘“, erzählt sie lachend und stolz.

Elias spricht Englisch; immerhin überdeckt die Übersetzung – falls man nicht ohnehin den O-Ton-Kanal wählt – die Ausdruckskraft ihrer Erzählung nicht vollends. Einmal sagt sie: „Wir kochten mit unseren Mündern“; um den Hunger in Theresienstadt leichter zu ertragen, redeten die Frauen wenigstens übers Essen. Nur wenige deutsche Wörter streut sie in ihre Rede ein, und die ergeben eine entlarvende Sammlung: transportunfähig, Leichenhalle, Selbsterhaltung, Aufstellen zu fünft, aber auch fröhlich.

Später, als sie von der Zeit in Auschwitz berichtet, zitiert sie den KZ-Arzt Josef Mengele („a very charming man“) in ganzen Sätzen: „Haben Sie ein Schwein gehabt. Mit dem nächsten Transport gehen Sie weg.“ Mengele hatte ihre Brüste abbinden lassen, damit sie ihre neugeborene Tochter nicht stillen konnte. Er wollte herausfinden, wie lange Babys ohne Nahrung überleben.

Als Mengele nach acht Tagen ihre bevorstehende Ermordung ankündigte, tötete Ruth Elias ihr Kind mit Hilfe einer jüdischen Ärztin, die ihr dafür Morphium angeboten hatte. Die Ärztin lehnte es jedoch wegen des Hippokratischen Eids ab, die Spritze zu setzen. Ruth Elias musste es selbst tun. Sie überlebte den Holocaust, lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2008 in Israel und brachte noch zwei Kinder zur Welt.

Dokumentar-Epos "Shoah"

Lanzmann verwendete Ausschnitte aus dem Interview mit Ruth Elias in seinem neuneinhalbstündigen Dokumentar-Epos „Shoah“. Aus dem Material seiner aufwendigen Recherche für diesen filmischen Meilenstein über den Völkermord an den europäischen Juden hat der mittlerweile 92-jährige Franzose im vergangenen Jahr die Reihe „Vier Schwestern“ geschaffen, die sich ausschließlich dem Schicksal von Frauen widmet und die nun von Arte im Rahmen eines Programmschwerpunkts zum Holocaust-Gedenktag ausgestrahlt wird: Nach dem eindrucksvollen Interview mit Ruth Elias folgt der Film mit Ada Lichtman, die das Vernichtungslager Sobibor überlebte – und dort die Puppen der getöteten Kinder ausbessern und zurechtmachen musste, damit die deutschen SS-Männer sie beim Heimaturlaub ihren Töchtern schenken konnten. Ebenso wie Ruth Elias berichtet sie vom Alltag regelmäßiger Vergewaltigungen durch die SS. Zwei weitere Folgen von „Vier Schwestern“ sind am kommenden Dienstag zu sehen.

Außerdem wird Lanzmanns monumentaler dreieinhalbstündiger Kinofilm „Der Letzte der Ungerechten“, der 2013 in Cannes uraufgeführt worden war, erstmals im deutschen Fernsehen gezeigt. Er besteht weitgehend aus Interviews, die der „Shoah“-Autor 1975 mit Benjamin Murmelstein geführt hatte, eingebettet in aktuelle Bilder von einer Reise Lanzmanns zur Gedenkstätte Terezin. Der Österreicher Murmelstein war der letzte Judenälteste im Ghetto Theresienstadt und erweist sich als kluger und gewitzter Gesprächspartner.

Lanzmanns Filme sind Fundgruben für die Ewigkeit

Mit seinem Film wollte Lanzmann den umstrittenen, 1989 verstorbenen Rabbiner als Helden würdigen, der Zehntausenden Menschen das Leben gerettet habe. Zugleich gelingt es hier Lanzmann einmal mehr, die praktische Umsetzung der deutschen Vernichtungspolitik in vielen Aspekten und Details zu schildern.

Seine Filme sind Fundgruben für die Ewigkeit.

„Vier Schwestern: Ruth Elias – Der Hippokratische Eid“; Arte, 20 Uhr 15; „Vier Schwestern: Ada Lichtman – Zum lustigen Floh“; 21 Uhr 45; „Der Letzte der Ungerechten“; 22 Uhr 40, jeweils Dienstag, 23. Januar.

Zur Startseite