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Der Satiriker Jan Böhmermann hat mit seinem Schmähgedicht den türkischen Präsidenten Erdogan beleidigt, da wird es für Olympioniken auch reichen.

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Zur Kritik an Carsten Sostmeier: Welchen Rio-Reporter hätten S' denn gern?

Satiriker Jan Böhmermann, Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert, Verbal-Hippologe Carsten Sostmeier: Drei Typen, aber nur einer passt nach Rio - Carsten Sostmeier.

Kennen Sie Guido de Santis? Er ist ARD-Reporter für Taekwondo. Oder Susanne Simon? Sie ist ARD-Reporterin für Kanu Slalom. Nein? Bei Olympia beschäftigen ARD und ZDF für nahezu jede Sportart eigene Reporter. Sie machen das unauffällig, kompetent, sie konzentrieren sich auf die fachliche Analyse. Verkehrt ist das nicht, denn von den meisten Disziplinen bei Olympischen Sommerspielen haben die allermeisten Zuschauer keine Ahnung, jedenfalls keine Ahnung von den speziellen Kniffen und Kompetenzen, von den Regeln und Raffinessen.

In den bislang 150 von geplanten 300 Livestunden gab es bei den Reportern und Kommentatoren kaum bis keine Auffälligkeiten. Klartext ist selten, mal beim Schwimmen, vor dem Hintergrund der enttäuschenden Resultate der deutschen Teilnehmer, ließ sich Tom Bartels mit Kritik vernehmen.

So hat sich Carsten Sostmeier ein Alleinstellugsmerkmal erarbeitet. Er hat die junge Reiterin Julia Krajewski beim Geländeritt im Vielseitigkeitswettbewerb beleidigt. Ein „Angsthase“ sei sie, habe einen „braunen Strich in der Hose“. Da schossen die Tweets durch die Smartphones, Empörung rauschte durch die Medien, die ARD entschuldigte sich, Sostmeier entschuldigte sich, die Reiterin ziert sich noch.

Jetzt mal eine Annahme: Deutschlands führender Satiriker, Jan Böhmermann, hätte in seiner Show gesagt, was Sostmeier gesagt hätte. Böhmermann kann zulangen, mit seinem Erdogan-Gedicht hat er Beleidigungs-Qualitäten nachgewiesen. Böhmermann aber beruft sich auf Satire, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit.

Wo ein Royal, da Rolf Seelmann-Eggebert. Immer loyal, immer diskret, der Royal-Flüsterer
Wo ein Royal, da Rolf Seelmann-Eggebert. Immer loyal, immer diskret, der Royal-Flüsterer

© NDR

Carsten Sostmeier kann sich auf nichts dergleichen berufen. Er hat verbal danebengegriffen, Sport und Satire sind so weit voneinander entfernt wie Erde und Mond. Das Ideal des idealen Sportreporters scheint mehr Rolf Seelmann-Eggebert zu sein. RSE ist der Experte für den royalen Sektor: kenntnisreich bis in die Haarspitzen, ein Gentleman vom Subjekt über das Prädikat bis hin zum Objekt. Soigniert flüstert er seine Expertisen, Diskretion ist Ehrensache.

Aber ist die Seelmann-Eggebert-Haltung angemessen für Olympia, für den harten Wettbewerb um die Medaillen? Die Antwort ist Rhetorik, was es braucht, ist eine Analyse der wahrgenommenen Reporter-Regeln (Sostmeier ist eben nur die Ausnahme). ARD und ZDF haben für viele Millionen die Übertragungsrechte aus Rio eingekauft. Wer für einen Haufen Geld eine Ware erwirbt, der möchte nicht gleich die Ware schlechtreden müssen. Die Mehrheit der Reporter und Kommentatoren wird zudem wissen, was ihre Kollegen von der Abteilung TV-Fußball wissen: Jeder Satz ist nur zehn Sekunden vom Shitstorm in den sozialen Medien entfernt. Steffen Simon und Béla Réthy werden immer „verprügelt“, alles andere passt in die Fußball-Fan-Frust-Folklore nicht hinein.

Die Reaktion der TV-Olympioniken ist auf den ersten Blick verständlich. Wer sich auf die Fachexpertise konzentriert, der ermöglicht dem Zuschauer das Verstehen einer Sportart, die er auf Anhieb nicht verstehen kann. Der Rollenwechsel vom Kommentator/Reporter zum Experten macht weniger angreifbar und er sichert die Reputation ab. Wer so viel mehr weiß als das durchschnittliche Publikum, er enteilt der Kritik: Was der Zuschauer weiß, das weiß der Experte besser.

Verbal-Hippologe Carsten Sostmeier ist Fan, Fanatiker und fachkundig. Und er bringt Bild und Ton in die Balance.
Verbal-Hippologe Carsten Sostmeier ist Fan, Fanatiker und fachkundig. Und er bringt Bild und Ton in die Balance.

© IMAGO

Carsten Sostmeier ist Experte, Reporter, ein leidenschaftlicher Fan, ein Fanatiker seines Sports. Wo so viele andere nur einen warmen Wind der Worte erzeugen, da neigt er zum Sturm. Nicht wenige reden nur von der berühmten „Gänsehaut“, Sostmeier scheint sie zu spüren und er erzeugt sie bis hin zur verbalen Ejakulation. Aber eines schafft er – ihm wird zugehört. Wo sonst das Bild regiert und dominiert, da bringt dieser ARD-Reporter Bild und Wort in eine Balance. Er will informieren, er will emotionalisieren. Bei ihm wird eine Disziplin zum Wettkampf, er möchte Athleten sehen, die sich der Konkurrenz stellen. Er ist nicht der Dabeisein-ist-alles-Reporter, gewonnen wird vorne und nicht hinten im Feld.

Meiner Ansicht nach spiegelt er die Zuschauerhaltung. ARD und ZDF produzieren ja auch deswegen dieses hektische Hin-und-Her-Fernsehen, weil sie sich stets auf der Spur der Medaillen bewegen wollen. Sie wecken mit jeder neuen Schalte neue Erwartungen, und wenn sie die Sportlerinnen und Sportler nicht erfüllen – der Sostmeier-Typus erfüllt sie.

Das Sportfernsehen braucht keine satirische Überhöhung, so wenig wie Escort-Reporter. Es braucht: fundierte Arbeit, ehrlichen Enthusiasmus, kritische Anteilnahme. Sostmeier ohne Carsten-Schaum – das passt.

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