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Meinung: … China

Harald Maass über das Motorrad-Verbot in der Acht-Millionen-Stadt Kanton

Für Millionen chinesischer Wanderarbeiter sind sie das Symbol für den Aufstieg. Wer es zu etwas gebracht hat, kauft sich ein Motorrad. Die Maschinen heißen „Wu Yang“ (Fünf Böcke) oder „Li Fan“ (Kraftvolle Segel). 100 000 Motorräder waren bis vergangenes Jahr in der südchinesischen Metropole Kanton (Guangzhou) unterwegs. Doch jetzt hat die Stadt als erste in China die Motorräder verboten und damit eine hitzige Debatte ausgelöst. Offiziell begründet wird das Verbot der stinkenden und lauten Zweiräder mit der Umweltverschmutzung und der wachsenden Kriminalität. Keine Stadt in China ist so unsicher wie Kanton, ein Moloch aus acht Millionen Menschen, wo fast jeder schon einmal überfallen wurde. Oft benutzen Kriminelle dabei die wendigen Motorräder als Fluchtfahrzeuge. Mit langen Melonenmessern bewaffnet rauben sie ihre Opfer auf der Straße aus und flüchten dann mit Vollgas in das Gewirr aus Straßen und Menschen. Die Polizisten haben meist das Nachsehen.

Doch viele Chinesen vermuten, dass hinter dem Verbot etwas ganz anderes steckt: In Wirklichkeit wolle Kanton die Wanderarbeiter vertreiben. Viele der Motorräder waren bisher als Billigtaxis und Transporträder im Einsatz. Drei Yuan, rund 30 Cent, kostete eine Fahrt. Durch das Verbot verlieren Zehntausende nun ihre Existenzgrundlage. „Wie soll ich meine Frau und meinen Sohn ernähren“, klagt Li Haijun in der „Südlichen Volkswoche“. Für den 38-Jährigen aus der Provinz Henan, der wie die meisten Wanderarbeiter keine richtige Ausbildung hat, war das Motorradfahren die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Andere Stadtbewohner, die zu arm für ein eigenes Auto sind, wissen plötzlich nicht mehr, wie sie zur Arbeit kommen sollen.

Als der chinesische Reformer Deng Xiaoping das Land Anfang der achtziger Jahre öffnete und die ersten Sonderwirtschaftszonen einrichtete, wurden die Wanderarbeiter in Kanton und anderen südchinesischen Städten mit offenen Armen empfangen. Sie arbeiteten für wenig Geld viele Stunden lang an den Fließbändern und schufen damit die Grundlage für den Wirtschaftsboom. Doch jetzt will man die „Waidi Ren“ (Zugereisten) offenbar wieder loswerden. „Sie wollen nichts Armes oder Hässliches mehr auf den Straßen sehen“, ärgert sich eine Geschäftsbesitzerin, die aus der Provinz Hubei stammt. „Sie wollen Kanton zu einer Stadt machen, die Wohlstand und Schönheit anzieht und voller Luxusautos ist.“ Dass das Motorradverbot die Kriminalität eindämmen wird, glaubt kaum jemand.

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