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30 Jahre Lambsdorff-Papier: Fertigmachen zur Wende

Das Lambsdorff-Papier von damals ist, vor diesem Hintergrund und dann auch noch dialektisch gedacht, heute kein Trennungspapier mehr, sondern eines, dessen Grundsatz verbinden könnte

Solche Papiere werden heutzutage nicht mehr geschrieben. Schade eigentlich. Aber so ein „Lambsdorff-Papier“ wie das vom 9. September 1982 – das könnte die Debatte beleben. Denn Politik war und ist kein Gesangverein Harmonie, eigentlich. Oder anders: Auseinandersetzungen sind im Kern immer Zusammensetzungen.

Aber das ist die Malaise im politischen Diskurs: Er ist eingeschlafen. Oder wollen wir vielleicht einmal böse sagen: eingeschläfert worden? Heute wird über Spiegelstriche, Unterpunkte bis ins Letzte geredet und gerechtet, und das wird dann stolz Pragmatismus genannt. Es ist nichts als ein Diktat des Pragmatismus. Dabei bräuchte die Gesellschaft neue Ideen; und sei es, um sich durch Abgrenzung weiterzuentwickeln. Das Reden von einer Agenda 2020 ist nicht falsch, nur weil die von 2010 mit Schrecken verbunden war. Politik ist auch der Versuch, gemeinschaftlich aus dem Vergangenen zu lernen und es für die Zukunft besser zu machen.

Das Lambsdorff-Papier, seinerzeit von Helmut Schmidt als „Trennungspapier“ der sozial-liberalen Koalition beschrieben, war immer mehr als das. Und der erste, der das wusste – oder angesichts seines Anspruchs hätte wissen müssen – war eben jener Schmidt. Dieses Papier war eine Blaupause, wie Christoph Butterwegge zum 25. Geburtstag analysierte, die sogar bis in die Zeit des „Schmidt light“ reicht, in die Regierungszeit des Gerhard Schröder. Beispiele? Butterwegge erinnerte daran: Die zeitliche Begrenzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate über die Einführung eines „demografischen Faktors“ zur Beschränkung der Rentenhöhe, die stärkere Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen – alles „soziale Grausamkeiten“, wie es vor nunmehr 30 Jahren hieß.

Und dann kam Hartz-IV, das Herzstück dessen, was von Rot-Grün allen in Erinnerung ist. Es geht sogar über den „Marktgrafen“ hinaus. Obwohl – schon Lambsdorff forderte eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln für Erwerbslose und eine Prüfung, ob die Arbeitslosenhilfe nicht von den Sozialämtern verwaltet werden könne. Ach, es muss ja kein solches Papier sein – aber nur schon der Rückblick darauf zeigt, dass vieles, was wir uns noch gestern nicht vorstellen konnten, morgen schon möglich ist.

Womit ganz nebenbei die Koalitionsfrage aufgeworfen ist. Das Lambsdorff-Papier von damals ist, vor diesem Hintergrund und dann auch noch dialektisch gedacht, heute kein Trennungspapier mehr, sondern eines, dessen Grundsatz verbinden könnte – und zwar nur vermeintlich paradoxerweise Freie und Sozialdemokraten. Ein Paradigmenwechsel: Die SPD müsste als Spezialist darüber nachdenken, was sie der Gesellschaft von morgen an Sozialität oder auch Solidarität „zumuten“ würde, die FDP wiederum, ob sie nicht aufgerufen ist, soziale Marktwirtschaft – ein Begriff, der brachliegt – mit neuem Leben zu füllen. Einer muss es ja tun.

Das Projekt könnte sich ausdrücken in der Frage: Was wollt ihr, das wir finanzieren sollen? Fragen haben die Tendenz, zu vereinen. Die Antwort ist die Auseinandersetzung, sprich: Zusammensetzung, wert.

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