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Meinung: Ab in die Vorschule

Deutschland braucht mehr Mut zu Erziehung Von Daniel Dettling

Deutschland hat einen neuen Kulturkampf. Mit dem „Bündnis für Erziehung“ hat Familienministerin Ursula von der Leyen jenseits der beiden beteiligten christlichen Kirchen sämtliche Erziehungseinrichtungen gegen sich in Stellung gebracht. Wann hat es das gegeben: jüdische und muslimische Gemeinden gemeinsam gegen die Regierung! Sekundiert wird ihr von empörten Vertretern der SPD, Grünen, FDP und Linkspartei, die als Pädagogen bislang nicht sonderlich aufgefallen sind. Die beiden Kirchen und die Regierung hätten „kein Monopol auf Werteerziehung“. An die Spitze der Bewegung setzt sich ausgerechnet der „Spiegel“. Die Familienministerin führe einen „Kreuzzug für Kinder, Kirche und Karriere“. Derart lautstark vorgebrachte Kritik und Ablehnung lässt aufhorchen. Welche Antworten bieten eigentlich die Kritiker auf die zunehmende Perspektiv- und Orientierungslosigkeit junger Menschen? Wo sind ihre Angebote für Eltern und Familien, wenn es um Schulverweigerung und gewalttätige Heranwachsende geht?

Jahrzehntelang hat das Land falsche Prioritäten gesetzt. Die beiden öffentlichen Lebenslügen waren: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ und „Kindererziehung ist Sache der Mütter“. Privat sieht es dagegen längst anders aus: Die dritte Generation der Einwanderer begehrt auf und immer mehr Frauen wollen beides, Kinder und Karriere. Kinder werden hierzulande zu spät gefördert und Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung allein gelassen. Wer dem politisch etwas entgegensetzen will, hat die meisten organisierten Interessen nicht auf seiner Seite. Der Rückzug in Parallelgesellschaften betrifft dabei auch und vor allem die beiden Kirchen. Mit ihren bisherigen Angeboten an Kinderbetreuung und Werteerziehung schließen sie berufstätige Mütter überwiegend aus. Es macht daher Sinn, mit den beiden christlichen Kirchen zu beginnen und für mehr und bessere Kindererziehung zu werben.

Im Bereich der Kindergärten in freier, das heißt nicht öffentlicher, Trägerschaft stellen die kirchlichen Träger insgesamt 72 Prozent der Plätze. Bezogen auf alle Plätze ist beinahe jeder zweite in kirchlicher Trägerschaft. Die Nachfrage nach Bildungsangeboten in kirchlicher Trägerschaft nimmt rasant zu. Privatschulen gelten als besser, effizienter und werteorientierter als andere.

Es gibt in Deutschland zu wenig islamische, jüdische und nichtreligiöse private Bildungseinrichtungen, die offen sind für anders denkende Kinder und Eltern. Diese Offenheit ist von vielen Organisationen nicht gewollt. Umso wichtiger wird es, dass sich eine Gesellschaft das größtmögliche Maß an Offenheit und Allgemeingültigkeit organisiert. Ohne Ansprechpartner ist dies nicht möglich. Die Feinde der offenen Gesellschaft sind nicht nur fanatische Terroristen und Extremisten. Eine demokratische und tolerante Gesellschaft kann auch an Beliebigkeit und innerer Schwäche scheitern und zugrunde gehen. Vielleicht stellt die Erosion der Bindungen sogar eine größere Gefahr dar als der oft zitierte „Kampf der Kulturen“.

Die Pluralität der Glaubensrichtungen und Religionen ist ein Mehrwert, der eine säkulare Gesellschaft bereichern kann, wenn sie mit Offenheit und Integration verbunden ist. Die Familien werden in Zukunft das nötige Maß an Erziehung nicht mehr alleine herstellen können. Wenn es die Regierung ernst meint mit einer wertgestützten Orientierung, muss sie der Ankündigung auch Taten folgen lassen. Ein für alle Kinder verpflichtendes Vorschuljahr ist überfällig. Ebenso überfällig sind exzellent ausgebildete Erzieherinnen und qualitative Kindergärten.

Von Willy Brandt stammt der schön klingende Satz „Die Schule der Nation ist die Schule“. Heute ist die Schule der Nation bereits der Kindergarten.

Der Autor leitet den Think Tank berlinpolis (www.berlinpolis.de).

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