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Meinung: Abenteuer Kurdistan

Die Türkei muss einsehen, dass ein stabiler Nordirak ihr nützt Von Thomas v. der Osten-Sacken

Drohende Worte richteten sich vergangene Woche aus Ankara gegen die Kurden im Irak: So erklärte der als Hardliner geltende Generalstabschef der Türkei Yaÿar Büyükanÿt, aus militärischer Sicht halte er einen Schlag gegen Camps der Kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak für sinnvoll. Massud Barzani, Präsident der Kurdischen Regionalregierung im Irak, feuerte zurück: Sollte die Türkei die Grenze überqueren, gäbe es Krieg auch im kurdisch besiedelten Südostanatolien. Wird nun auch der ruhige kurdische Nordirak in den Sog von Gewalt und Terror gerissen?

Die türkische Armee ist im vergangenen Jahrzehnt regelmäßig im Nordirak einmarschiert, gelten die unwegsamen Gebirge der Region doch als Rückzugsgebiet der PKK, die seit nunmehr 25 Jahren einen Guerillakrieg gegen die Türkei führt. Auch betrachtet man in Ankara etwaige Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden mit großer Sorge, fürchtet man doch, dies könne kurdischen Separatisten im eigenen Land weiteren Aufschwung geben.

In einem eskalierenden Konflikt wären einmal mehr die Bewohner des Nordiraks die Leidtragenden, die nach jahrzehntelanger Unterdrückung durch Saddam Hussein zum ersten Mal eine Zeit des Friedens und der Ruhe genießen. Dass in Bagdad die gewählte Zentralregierung zumindest rudimentär funktioniert, hängt maßgeblich auch von der Unterstützung der Kurden ab, die sich mehrheitlich 2003 gegen Eigenstaatlichkeit und für den Verbleib in einem föderalen Staat Irak entschieden haben.

Die Türkei befindet sich zudem im Wahlkampf, das Land ist tief gespalten zwischen Anhängern der regierenden islamischen AKP und säkularen Kemalisten, zwischen Anhängern einer Annäherung an Europa und radikalen Nationalisten. Gerade in Krisenzeiten lassen sich nationale Sentiments leicht schüren.

Noch gibt es auf beiden Seiten jedoch Stimmen der Vernunft, die der Westen unterstützen sollte. Die Türkei und die Kurden im Nordirak haben sich nicht nur politisch miteinander arrangiert. Türkische Unternehmer verdienen jährlich Milliarden am Wiederaufbau des Nordiraks. Selbst der neue Campus der kurdischen Universität in Suleymaniah wird von einer türkischen Firma gebaut. Gerade in den unterentwickelten Gebieten der Osttürkei profitieren Tausende vom Grenzhandel. Entsprechend ablehnend äußerten türkische Unternehmerverbände sich gegenüber einem möglichen militärischen Abenteuer der Türkei.

Langfristig könnten die irakischen Kurden gar die verlässlichsten Partner der Türkei werden. Kurden wie Türken glaubten an Demokratie und Laizismus, beide Länder richteten sich nach dem Westen aus und fürchteten ein Erstarken radikaler Islamisten.

Ob die Mehrheit der irakischen Kurden dies auch versteht? Sie haben die Wahl zwischen einer langfristig destruktiven ethnisch-nationalistischen Politik und der Chance, in einem föderalen Irak zu verbleiben und damit auch ein Beispiel für die Lösung der sogenannten „Kurdenfrage“ in anderen Ländern der Region, inklusive der Türkei, vorzuleben.

Wenn nämlich Büyükanÿt die Politik der kurdischen Regierung gegenüber der PKK scharf kritisiert, kann ihm in einem Punkt kaum widersprochen werden. Die PKK unterhält in der Tat Lager im Nordirak und kann weitgehend ungehindert von dort operieren. Dies zu unterbinden ist die völkerrechtliche Pflicht sowohl der irakischen wie der kurdischen Regierung und der sie unterstützenden Amerikaner. Längst ist die PKK zudem zu einer mafiotischen Organisation verkommen, die vornehmlich um ihr Überleben kämpft.

Zugleich aber wäre es endlich an der Zeit für die türkische Regierung, Dialogbereitschaft mit den Kurden zu zeigen und Forderungen nach Autonomie in der Osttürkei nachkommen.

So könnte sich eine kurzfristig eskalierende Krise in eine langfristig stabilisierende Perspektive verwandeln. Dies fordert von allen beteiligten Vernunft und Mäßigung in der nationalen Rhetorik. Sollten Letztere siegen, könnte die Lage, die noch nicht bedrohlich ist, sehr schnell gegen den Willen der Beteiligten außer Kontrolle geraten. Denn wer im Nahen Osten mit nationalen oder ethnischen Ressentiments spielt, verliert schneller die Kontrolle über die Geister, die er rief, als ihm lieb ist.

Ein größeres militärisches Engagement im Nordirak hätte für die Türkei vermutlich fatale Folgen: politische Isolierung im Westen, Entfremdung von den USA, weitere Destabilisierung des Irak, Stärkung aller Hardliner in Ankara und nicht zuletzt auch eine Aufwertung der PKK.

Der Autor ist Geschäftsführer der im Irak tätigen Hilfsorganisation Wadi e. V. (www.wadinet.de)

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