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Militärintervention: Absetzbewegungen auf breiter Front

Die Militärintervention in Libyen hat die Nato in eine ernste Krise geführt. Sie droht bald alleine als militärischer Akteur dazustehen und provoziert damit geradezu Gaddafis Interventionspropaganda.

Von Hans Monath

Es war Herbst, da feierte die Nato ihr neues strategisches Konzept, das die Allianz für die Gefahren des 21. Jahrhunderts fit machen soll. Weniger als ein halbes Jahr später hat der Streit um die Militärschläge gegen Libyen das mächtigste Militärbündnis der Welt in eine Krise gestürzt: Die Nato ist handlungsunfähig.

Das liegt zuallererst am Vorpreschen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Er will das Bündnis nicht nur in die Militäroperation gegen Libyen zwingen, die wichtige Mitglieder nicht überzeugt. Vielmehr beansprucht er auch die Führung der Operation und will so die politische Verantwortung der Nato aushebeln. Schon im Irakkrieg hatten die USA erfolglos versucht, das Bündnis als „Toolbox“ (Werkzeugkiste) für militärische Fähigkeiten zu nutzen.

In der Nato gilt nämlich das Prinzip der Einstimmigkeit, ihr Motto lautet „Animus in consulendo liber“, etwa: „Hier beraten freie Geister.“ Gegen Sarkozys Hauruckverfahren, das keine Konsultationen vorsah, stemmt sich vor allem die Türkei. Es wäre für Paris ein Gebot der Vernunft gewesen, das einzige islamische Land in der Nato frühzeitig einzubinden, aber Premierminister Erdogan war nicht einmal zum Gipfel von Paris geladen. Ankara aber fürchtet um das Leben der Zehntausenden von türkischen Arbeitern in Libyen und will nicht auf muslimische Brüder schießen.

Am Montag hatte Frankreich schon versucht, die Europäische Union in die vom UN-Sicherheitsrat erlaubte Militäraktion zu zwingen, doch die Mehrzahl der EU-Außenminister wehrte das ab. Die USA, die die „Odyssey Dawn“ nur ungern weiter führen wollen, befürworten wie Großbritannien eine Führungsrolle der Nato. Trotz des türkischen Widerstands versucht Generalsekretär Rasmussen eine Teileinigung durchzusetzen, wonach das Bündnis die Einsatzführung zur Durchsetzung der Flugverbotszone übernimmt. Blockieren dürfte Deutschland eine solche Einigung keinesfalls, um das durch die Sicherheitsratsenthaltung ohnehin strapazierte Verhältnis zu den engsten Verbündeten nicht noch weiter zu belasten.

Auch ein begrenztes Nato-Engagement wäre aber riskant. Vor dem Hintergrund von Absetzbewegungen auf breiter Front im arabischen Raum und in Afrika droht die Nato in Libyen bald alleine als militärischer Akteur dazustehen und provoziert damit geradezu Gaddafis Interventionspropaganda. Die von wenigen arabischen Ländern versprochene Militärhilfe für die Operation ließ bis Dienstag jedenfalls sehr zu wünschen übrig.

Eineinhalb Jahre lang dauerten die Vorbereitungen der USA für den Irakkrieg und die Zeit danach. Wenn es denn ein Nachkriegsszenario für Libyen gegeben haben sollte, ist davon nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Niemand darf deshalb erwarten, dass Blitzplanungen zur Zukunft des Landes sicher zu einem besseren Ergebnis als der Krieg im Irak führen – selbst im Fall eines schnellen Abgangs des Diktators. Wenn die Nato ihre eigene Rolle noch ernst nimmt, muss sie vor einer Entscheidung über Militäreinsätze genau diese politische Debatte führen.

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