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Ägypten: Der Tahrir-Platz wird umfahren

Islamist oder Mubarak-Vertrauter: Wer auch immer Ägyptens nächster Präsident sein wird - demokratischer wird das Land nicht sein

Das Volk hat entschieden. Zur Stichwahl werden Ägyptens Revolutionäre wohl nicht mehr hingehen. Denn mit den Idealen des Tahrir-Platzes haben die beiden Finalisten um das Präsidentenamt wenig am Hut. Hinter Mohammed Mursi, dem Apparatschik der Muslimbruderschaft, schart sich die disziplinierte Kerntruppe der Islamisten. Kontrahent Ahmed Shafiq, als Ex- Luftwaffenchef und Ex-Premier fast ein Wiedergänger des gestürzten Hosni Mubarak, kann nun auf die Stimmen der alten Regimekreise zählen, auf Teile des säkularen Lagers und auf die Kopten.

Beiden Rivalen ist eins gemeinsam – sie polarisieren. Lagerübergreifende Mitbewerber, wie Ex- Muslimbruder Abdel Moneim Abolfotoh, der Nasserist Hamdeen Sabahi oder der Ex-Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Moussa, hatten dagegen das Nachsehen. Und so wird die Stichwahl am 16. und 17. Juni zu einer fundamentalen Richtungsentscheidung für Ägypten und zu einem Menetekel für weitere unruhige Jahre.

Vieles spricht dafür, dass sich auch in der letzten Etappe die Muslimbrüder mit ihrer Wahlmaschine durchsetzen werden. Das könnte den Islamisten mit Mohammed Mursi als neuem Staatschef ein Machtmonopol bescheren, was dem alten von Mubarak in nichts nachsteht. Neben dem Parlament werden die Muslimbrüder künftig die Regierung beherrschen, alle 27 Gouverneure des Landes nach ihrem Geschmack bestimmen und zentrale Posten in der Verwaltung mit genehmen Leuten besetzen. Die bisher blockierte Verfassungsgebende Versammlung könnten sie nun endlich nach eigenem Geschmack zuschneiden – und damit das Gesicht Ägyptens auf Jahrzehnte in ihrem Sinne prägen. Eine wirksame, institutionell verankerte Machtkontrolle jedoch wäre in weite Ferne gerückt – trotz Volksaufstand und Revolution.

Das Gleiche gilt für Ahmed Shafiq. Mit ihm als Präsidenten hätten die alten Netzwerke das Gröbste überstanden. Schon jetzt gebärden sich viele der langjährigen Profiteure wieder so selbstbewusst, als hätte es in Ägypten nie eine Revolution gegeben. Zudem wären zwischen Shafiq und der künftigen islamistischen Regierung zehrende Dauerkonflikte programmiert.

Für die Zukunft Ägyptens bedeutet das alles nichts Gutes. Die Aufgaben für den nächsten Präsidenten sind geradezu überirdisch. Ägypten steht vor dem Bankrott, die Finanzreserven aus der Mubarak-Zeit sind aufgebraucht. Subventionen für Benzin und Diesel verschlingen ein Viertel des nationalen Etats. Die Sicherheitslage verfällt, das Vertrauen des Auslands schwindet. Internationale Investoren und Touristen machen sich rar. Aus der ersten Delle beim Tourismus während der Revolutionstage ist längst ein Einbruch geworden. Wenn aber der Reisemotor nicht bald wieder anspringt, bleibt es auch um die Zugkraft der übrigen Wirtschaft schlecht bestellt.

Mit den alten Problemen jedoch wartet auf den Nachfolger von Hosni Mubarak nun ein neues Volk, das sich nicht mehr in stumme Duldsamkeit zurückdrängen lässt. Egal, ob am Ende Mohammed Mursi oder Ahmed Shafiq in den Präsidentenpalast von Heliopolis einzieht, der Tahrir-Platz bleibt. Der weltberühmte Kreisverkehr im Herzen Kairos wird neue Dynamik gewinnen als Zentrum für wirksame Opposition und echte Machtkontrolle. Er ist der Geburtsort des mündigen ägyptischen Bürgers. Er steht für die Forderung der Menschen nach Partizipation, Rechtssicherheit und Transparenz. Und er wird nach der Wahl neuen Wirbel machen.

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