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Afghanistan: Der Krieg im Schatten

Der Befehl des Oberst Klein, zwei entführte Tanklastzüge und um sie versammelte Personen bombardieren zu lassen, war falsch. Seitdem kann weder die deutsche Politik noch die Öffentlichkeit länger die Augen verschließen vor dem, was den Menschen in allen anderen Ländern, die Truppen stellen, schon lange bewusst ist: Das ist Krieg, und unsere Soldaten töten auch Zivilisten.

Vermutlich wird der 4. September 2009 als der Tag in die jüngere deutsche Geschichte eingehen, von dem an sich niemand mehr Illusionen darüber machen durfte, was in Afghanistan wirklich geschieht.

In der aktuellen Situation war der Befehl des Oberst Georg Klein, zwei entführte Tanklastzüge und um sie versammelte Personen bombardieren zu lassen, wohl falsch. Aber er fügt sich logisch ein in das Geschehen der letzten Jahre in Afghanistan. Dort herrscht eine militärische Auseinandersetzung, in der sich Soldaten mehrerer Nationen unter einem internationalen Kommando und Guerillakämpfer aus zahlreichen Ländern gegenüberstehen. Dem Befehl des deutschen Offiziers sind aber nicht nur Talibanführer, sondern auch sehr viele Zivilisten zum Opfer gefallen. Seitdem kann weder die deutsche Politik noch die Öffentlichkeit länger die Augen verschließen vor dem, was den Menschen in allen anderen Ländern, die Truppen stellen, schon lange bewusst ist: Das ist Krieg, und unsere Soldaten töten auch Zivilisten.

Aber erst, seit dieser Satz nicht mehr nur von linken Politikern, sondern von der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann in einem Interview dieser Zeitung ausgesprochen wurde, ist die Aufregung groß. Im Januar wird sich in London eine internationale Konferenz mit der Zukunft Afghanistans befassen. Die Bundesregierung klammert sich verzweifelt an die Illusion, erst danach über zusätzliche Kampfeinheiten entscheiden zu müssen. Niemand will sie, nicht die Kanzlerin, nicht ihr Außenminister, nicht der SPD-Vorsitzende und der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Der war vor drei Monaten selber noch deutscher Außenminister. Die SPD möchte sogar die Mitglieder ein noch zu erarbeitendes Papier des Parteivorstandes diskutieren lassen. Die Entscheidung über einen Truppeneinsatz basisdemokratisch legitimieren zu wollen, ist fragwürdig. Aber in den übrigen Parteien würde das Votum zum Krieg gleich sein.

Der wurde allerdings, und da irrt die EKD-Ratsvorsitzende, nicht begonnen, um in Afghanistan mit zivilen Mitteln Frieden zu schaffen. Diese These ist Teil der deutschen Lebenslüge von den friedlichen Brunnenbauern und Polizeiausbildern. Nein, als Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA nach dem 9. September 2001 uneingeschränkte Solidarität versprach, ging es um die Vernichtung des Terrornetzwerkes Al Qaida, das im von Taliban beherrschten Afghanistan über ein sicheres Rückzugsgebiet verfügte. Angesichts der ungelösten Aufgabe ist dieser Krieg auch nicht einfach durch einen Rückzug zu beenden.

Bischöfin Käßmann hat, in deutlicher Absetzung von der Nobelpreisrede Barack Obamas, konstatiert, es gebe keinen gerechten Krieg, und allen Rechtfertigungen von Kriegen könne sie nur schwer folgen. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner Rede am 8. Mai 1985 festgehalten, dass die deutsche Niederlage des Jahres 1945 auch eine Stunde der Befreiung gewesen sei. In dieser Sichtweise, die in Deutschland inzwischen fast konstituierend geworden ist, war der Kampf der Alliierten gegen Nazideutschland ein zu rechtfertigender Krieg. Ob die EKD-Ratsvorsitzende dem zustimmen würde? Ob aus den Stimmen der letzten Tage nun eine neue Friedensbewegung wird? In jedem Fall hat der Befehl des Oberst Klein eine breite Debatte über den Afghanistankrieg ausgelöst. Wenn die zu mehr Ehrlichkeit und nicht zu neuer Heuchelei führt, wäre das ein großer Gewinn.

Gerd Appenzeller

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