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Afghanistan: Ehrlich dauert am längsten

Für die Kanzlerin herrschen in Afghanistan kriegsähnliche Zustände. Diesen Begriff lehnt der SPD-Vorsitzende ab – von den UN mandatierte Soldaten seien keine Krieger. Die Wahrheit jedoch ist, seit 2001 unverändert: In Afghanistan sterben auch deutsche Soldaten, damit der Terror von Al Qaida nicht ungehindert in der ganzen Welt zuschlagen kann.

Erst zum zweiten Mal hat die Bundeskanzlerin gestern vor den Abgeordneten des Bundestages zur deutschen Rolle in Afghanistan gesprochen. Bei ihrer ersten Regierungserklärung dazu, am 8. September, stand sie noch an der Spitze einer Regierung der großen Koalition. Jetzt argumentierte sie im Sinne einer schwarz-gelb geprägten Außen- und Sicherheitspolitik im Mittleren Osten. Damals kündigte sie die Afghanistankonferenz an, nun erläuterte sie, was Deutschland dort erreichen will.

Dass der Tenor beider Ansprachen von ähnlichen Leitsätzen geprägt war, hängt mit dem Bestreben der Kanzlerin zusammen, die Sozialdemokraten und, wo immer erreichbar, auch die Grünen weiter in die Grundsätze der Afghanistanpolitik und die Mandatierung der deutschen Truppen dort einzubinden. Angela Merkel will den beiden heutigen Oppositionsparteien ermöglichen, jene politische Linie weiter mitzuverfolgen, die sie selbst, als Regierungsparteien, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vorgezeichnet hatten. Sie will es aber Rot-Grün auch erschweren, sich aus der gemeinsamen Verantwortung für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu stehlen.

Aus der Zeit unmittelbar nach den Al-Qaida-Anschlägen in den USA stammt die Formulierung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder von der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den von Terroristen angegriffenen Vereinigten Staaten von Amerika. In jener Zeit rief die Nordatlantische Allianz zum ersten Mal seit ihrer Gründung den Bündnisfall aus, in den Monaten danach enstanden jene UN-Mandate, auf deren Basis die Bundeswehr bis heute Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt, um ein Zitat das sozialdemokratischen Verteidigungsministers Peter Struck in Erinnerung zu rufen.

Ob Schröder seinerzeit bedacht hat, was „uneingeschränkte Solidarität“ über die große verbale Geste hinaus bedeutet, darf man bezweifeln, die Folgen dieser inhaltlichen Grauzone muss man beklagen. Dass die Bundeswehr in Afghanistan mehr und mehr in immer blutigere Kämpfe verwickelt wurde; dass aus den von der heimischen Politik parteiübergreifend als Brunnenbauer verharmlosend gelobten Soldaten längst eine Armee im Kampfeinsatz geworden war; dass in diesem Krieg wie in jedem die Wahrheit eines der ersten Opfer war – das alles ist eine Folge der uneingeschränkten Solidarität, zu der es im Übrigen aufgrund der deutschen Bündnisverpflichtungen auch keine Alternative gegeben hätte. Aber erst seit jenem 4. September, in dessen Nacht Oberst Klein in Kundus vorgab, nur zwei entführte Tanklaster bombardieren lassen zu wollen, während es ihm tatsächlich um den Tod der Talibankämpfer an den Fahrzeugen ging, beginnt Deutschland zu begreifen, was in Afghanistan wirklich passiert.

Jetzt muss sich die Bundeswehr von einem amerikanischen General indirekt Feigheit vorhalten lassen. Dabei waren es deutsche Soldaten, die noch 2005 zu Fuß Patrouille gingen, während die US-Truppen sich nur in gepanzerten Fahrzeugen bewegten. Erst Verteidigungsminister Franz Josef Jung zwang sie dann dazu, sich in ihren Fahrzeugen zu verbarrikadieren, weil die Politik keine deutschen Opfer haben wollte. Nicht die Soldaten waren feige, wie heute bösartig unterstellt wird, sondern die Politik, quer durch die Parteien.

Merkel hat nun, wie teilweise auch Sigmar Gabriel für die Sozialdemokraten, versucht, die Politik ehrlich zu machen und Rechenschaft abzulegen über Erreichtes und Verfehltes. Aber beide sind diesen Weg nicht konsequent zu Ende gegangen. Der Dissens, der zwischen ihnen offenbar wurde, macht es deutlich. Für die Kanzlerin herrschen in Afghanistan, den Fakten entsprechend, kriegsähnliche Zustände. Diesen Begriff lehnt der SPD-Vorsitzende ab – von den UN mandatierte Soldaten seien keine Krieger. Die Wahrheit jedoch ist, seit 2001 unverändert: In Afghanistan sterben auch deutsche Soldaten, damit der Terror von Al Qaida nicht ungehindert in der ganzen Welt zuschlagen kann.

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